Die Wanderbibel
nach oben, kühlen sich in der Höhe ab und bilden Blumenkohlwolken, genauer: Cumuli. Wenn die Cumuli bereits am Morgen wachsen, sollte man sie gut im Auge behalten. Wenn sie dann noch in großer Höhe einen Amboss ausbilden, ist bald Gefahr im Verzug. Wie schwierig eine Prognose angesichts von diversen Cumuli-Varianten sein kann, zeigen allerdings die »Cumulus fractus«-Wolken, Indikatoren für starken Wind, welche die Gewitterbildung behindern.
Ein Grat kann während eines Gewitters lebensgefährlich sein. Man kann sich aber auch in Sicherheit wähnen und trotzdem akut gefährdet sein, vor allem, wenn man Nichtraucher ist. Ein guter Bekannter, ein inzwischen emeritierter Professor, erzählte, wie er anno Tobak mit seinem Vater unterwegs war. Das Duo war dabei, den Watzmann zu überschreiten, als ein Gewitter direkt auf sie zusteuerte. Im Verlauf des exponierten Grates waren gelegentlich Schilder angebracht, die sich ein Komiker oder Henker ausgedacht haben musste: »Wanderer: den Grat bei Gewitter sofort verlassen!« Der Vater des Professors entschied für sich, Unterschlupf in einer kleinen Felskluft zu suchen, der Filius rannte vor lauter Angst bis zur nahe gelegenen Hütte. Diese war freilich so überfüllt und verqualmt, dass der künftige Akademiker einen Platz vor der Tür als Unterstand wählte. Kurz darauf ein greller Lichtblitz und ohrenbetäubender Lärm, die Hütte bebte. Sekunden später tippte der Hüttenwirt dem Jungen auf die Schulter: »Gell, Bub, musst dich ja net grad neben den Blitzableiter stellen.«
Der durchschnittliche Wandersmann und Hobby-Meteorologe tut gut daran, seine eigenen Beobachtungen, wie hoch oder niedrig fliegende Schwalben, Mückenschwärme in der Abendsonne, Halo-Erscheinungen oder eine Nebelauflösung um die Mittagszeit im November, mit der Vorhersage der Profis abzugleichen. Dass Phänomene wie ein schönes Abendrot oder Tau am Morgen eine gewisse Aussagekraft haben, wurde von Meteorologen zwar inzwischen bestätigt. Doch andere alte »Regeln« wurden von der Wissenschaft unter der Rubrik »populäre Wetterirrtümer« abgelegt. Darunter auch der Irrtum, dass Milch bei Gewittern sauer werde oder dass die Sonne scheine, wenn man seinen Teller leer gegessen habe. Und selbst der Hundertjährige Kalender tauge nur als Wandschmuck in der Bauernstube, wie Jörg Kachelmann und Christoph Drösser in ihrem Buch »Das Lexikon der Wetterirrtümer« aufklären.
Wie schnell man in Schwierigkeiten kommen kann, bewies unfreiwilligerweise jene Bergsteigergruppe im Frühling 2010, die am Großvenediger von einem Wettersturz überrascht wurden. Die bergerfahrene Truppe gab an, keine Vorboten schlechten Wetters bemerkt zu haben. Glücklicherweise waren die Herren tatsächlich mit allen alpinistischen Wassern gewaschen und obendrein top ausgerüstet. Sie überlebten die mehrtägige Schlechtwetterphase in einer selbst gegrabenen Schneehöhle und wurden – ein seltenes Happy End – gerettet. Trotz aller Vorhersagen gilt also: Mit Wetterüberraschungen, vor allem mit unliebsamem oder im Extremfall lebensgefährlichen, muss man immer rechnen.
In der Pfalz verriet uns übrigens ein Einheimischer eine Wetterregel, die immer und überall gilt: »Hat die Kalmit einen Hut, wird das Wetter wieder gut. Hat die Kalmit einen Kragen, tut sie’s Wetter nicht vertragen.«
17 Das Kreuz mit dem Kreuz
Wanderer und Toleranz
Unter dem Gipfelkreuz geht es leider nicht immer friedlich zu. Zwar beglückwünscht man sich in der Regel gegenseitig zum Gipfelerfolg, rückt aber nur äußerst ungern zusammen, damit auch die neu Hinzugekommenen auf dem meist knapp bemessenen Platz in der näheren Umgebung des Kreuzes eine Sitzgelegenheit finden können. Und da kann es durchaus auch mal lautstark, wenn nicht sogar etwas aggressiv zugehen. So wurde ich vor wenigen Jahren auf dem Gipfel des Biberkopfs (2599 Meter), einem imposant geformten Aussichtsberg im Allgäu, der schon rein statistisch eine Sonderstellung einnimmt (handelt es sich doch um den südlichsten Gipfel Deutschlands), Ohrenzeuge einer Aussage, die sich, sagen wir es einmal vorsichtig, nicht gerade durch besondere Fremdenfreundlichkeit auszeichnete. Als sich nämlich eine nach Diktion und Aussehen als holländisch-vietnamesisch einzustufende Familie (zugegebenermaßen etwas lautstark) dem Gipfelkreuz näherte, zischte eine bayrische Gipfelstürmerin, die wohl um ihren Sitzplatz unter dem Kreuz fürchtete, deutlich hörbar: »Kaaskopferte! Un a no mit
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