Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Wanderbibel

Titel: Die Wanderbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Kehle , Mario Ludwig
Vom Netzwerk:
Bei der Bestellung entfuhr mir ein »Schnitzel, Pommes und Salat«.
    Wer keine Weitwanderung im Sinn hat und morgens schon vor dem Hotelfrühstück in die Berge will, benötigt neben dem Bett eine Kochmöglichkeit. Mehr nicht. Na ja, waschen sollte man sich nach der schweißtreibenden Beschäftigung auch, und eine kleine Küche wäre komfortabel. Der Wandersmann will also auch wohnen. Dem einen reicht ein Zelt, andere brauchen für ihr Wohlergehen eine Suite in einem Fünf-Sterne-Hotel. Im Engadin erzählte uns die Wirtin unserer Ferienwohnung, dass sie über viele Jahre ein überaus wohl situiertes Bankiersehepaar zu Gast hatte, das stets die kleinste ihrer Ferienwohnungen bevorzugte. Allerdings nicht deshalb, weil sie als Wanderer die Bescheidenheit liebten und gelernt hatten, Verzicht zu üben, nein, die beiden waren einfach nur geizig. Einmal standen die beiden Geizkragen sogar während eines Gewitters vor einem Gasthaus im Regen und knabberten an einer Butterstulle.
    Klein, kleiner, am kleinsten: Im modernen Menschen stecken noch die Gene Ötzis, und so träumt mancher von einem winzigen, alten VW-Camping-Bus, mit dem man nomadenhaft durch die Lande ziehen und dort seinen Fuß auf die unverdorbene, am besten jungfräuliche Erde setzen kann, wo es beliebt. Gelegentliche lauwarme Duschen auf Campingplätzen mit regelrechten Gartenzwergkolonien wecken unbewusste Erinnerungen an das wenig luxuriöse Leben unserer Steinzeitvorfahren.
    Von meiner Familie hingegen gibt es hübsche Dias aus den siebziger Jahren. Meine Mutter im geblümten Sommerkleid, mein Vater wie aus dem Ei gepellt, natürlich mit Schlips und Sakko. Gewandert sind wir damals selten, dafür mit sämtlichen Seilbahnen des Berner Oberlandes gefahren, inklusive Jungfraujoch, Schilthorn oder Niesen. Gewohnt haben wir in einer kleinen Ferienwohnung im Dachgeschoss der PTT (Post Telefon Telegrafie) Gsteigwiler, einem mustergültigen Dorf im Berner Oberland. Nur ein paar Kilometer abseits von Interlaken ist dort auch heute noch von Tourismus herzlich wenig zu spüren – gerade einmal fünf Ferienwohnungen werden derzeit angeboten. »Entdeckt« hat das Dorf ein Bekannter meiner Eltern bereits Ende der fünfziger Jahre, als am Rande des Dorfes noch ein Schneckenzüchter lebte, der angeblich ganze Äcker voller Salate pflanzte, und zwar nur für seine Schnecken. Der Mensch galt bei den Dörflern als Kauz, muss jedoch gehörig Fränkli gescheffelt haben, wurden doch die Schnecken regelmäßig in einem Auto mit französischem Kennzeichen abgeholt, um dann wenig später mit reichlich Kräuterbutter be schmiert auf den Tellern Pariser Gourmetrestaurants wie der aufzutauchen.
    In der winzigen Dachwohnung mussten sogar wir Kinder aufpassen, dass wir uns beim Aufstehen vom Klo nicht die Köpfe anschlugen. Morgens, bevor wir »in die Berge gingen«, sah ich unserem Wirt in seinem Poststübchen zu, wie er seinen Handstempel auf die Briefmarken der aufgegebenen Post donnerte, bevor er mit dem Mofa durchs Dorf knatterte und die Post verteilte.
    Über die letzten Jahrzehnte sind – wie im eben berichteten Fall – übrigens viele Freundschaften entstanden zwischen Vermietern von Ferienwohnungen und Gästen, was alte Gästebücher dokumentieren. Bei einem alten Ehepaar blätterten wir in einem Gästebuch, in dem das Altern eines Wandererpaares nachzuvollziehen war, quasi von den Flitterwochen bis zur Goldenen Hochzeit. Ein inzwischen bekannter Künstler zeichnete während seiner Urlaube seine Eindrücke ins Gästebuch und notierte ein paar lyrische Zeilen. Ferienwohnungen, wie man sie heute kennt, sind erst deutlich nach dem Zweiten Weltkrieg in den Alpen und Mittelgebirgen entstanden. Es musste sich erst ein gewisser breiter Wohlstand herausbilden, der solcherart Reisen und Wandern erlaubte.
    Die meisten Wanderer sind keinesfalls Asketen und wollen im Urlaub richtig schlemmen, ausschlafen, eine kleine Rundtour unternehmen und anschließend Wellnessen. Anja genießt es, nach dem Wandern wenigstens eine Runde schwimmen zu können, um die geschundene Muskulatur zu entspannen. Viele Hotels, gerade in den Alpenregionen, bieten regelrechte Wellnesspakete an, meist für Paare. Ein Hotel in den Dolomiten wirbt mit Kuscheleffekten: »Erlebnisse verbinden und schaffen Nähe. Genießen Sie eine wunderbare Zeit mit Ihren Liebsten und stellen Sie Ihre Wünsche in den Mittelpunkt. Bei einem duftenden Bad zu zweit oder einer intensiven Massage mit Alpenkräutern kommen Sie wieder in

Weitere Kostenlose Bücher