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Die Wanderbibel

Titel: Die Wanderbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Kehle , Mario Ludwig
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Metzger hat mir einmal die vertrauliche Mitteilung gemacht, dass für ihn persönlich »alles was kleiner ist wie (im Badischen heißt das immer ›wie‹ und niemals ›als‹) eine Sau, doch bloß Ungeziefer« sei. So weit gehe ich natürlich nicht.

19 Von zweiter Heimat bis Wohnklosett
    Wandern und Unterkommen
    »Das war unser schönster Urlaub«, erzählte ein älteres Ehepaar, das wir vor einigen Jahren auf dem Westweg trafen. Wir verglichen unsere Weitwander-Erfahrungen bei einem Viertel Gutedel auf der Darmstädter Hütte. »Zwölf Tage lang nur wandern, essen, trinken, schlafen, wandern, essen, trinken, schlafen.« Das Dasein ist reduziert auf die wesentlichen Dinge des Lebens, wobei davon auszugehen ist, dass dieses glücklich wirkende Paar während der Weitwanderung auch noch andere Dinge im Sinn hatte.
    Weitwanderer schlafen zumeist nicht in Holzhütten, Heustadeln oder unter Brücken, haben sich doch an den jeweiligen Etappen eine ganze Reihe von Hotels, Gasthäusern und Privatpensionen niedergelassen, von unter schiedlichster Qualität und Preislage. Mitunter macht man etwas schräge Erfahrungen, andere nennen sie »grenzwertig«. Am Ende der fünften Etappe des Westwegs beginnt dessen schönere Hälfte. Und zwar auf dem Kniebis, beim Hotel Alexanderschanze, einem weithin sichtbaren ehemaligen Prachtbau, in dessen Nähe im Zweiten Weltkrieg reichlich Bunker- und Sicherungsanlagen als Teil des Westwalls errichtet wurden. Als wir dort eintrafen, lag ein betagter Herr im Liegestuhl des Gartens, der Eigentümer und einzige Mitarbeiter. Wir wollten ein Zimmer buchen. Gesagt, getan, der Herr richtete sich auf und faltete seine graue Wolldecke zusammen. Das Hotel befindet sich im Zustand der fünfziger Jahre, Hand werker hat das Gebäude wohl nie gesehen. Im Eingangsbereich hängt ein Schild mit Jugendstil-Schnörkeln: »Neu erbaut 1911, comfortabel eingerichtet, Diner’s von 12–15 Uhr, Restauration à la carte zu jeder Tageszeit.« Es war an einem späten Nachmittag im Mai, draußen blies ein immer kälterer Wind. Der Maestro führte uns an einem kleinen Nebenzimmer vorbei, in dem vier gepflegte Cocktailsesselchen um einen Nierentisch standen, er schloss unser Zimmer auf und blickte aufs Thermometer. Es hatte geschlagene zwölf Grad. Er fragte, ob wir einen Heizlüfter benötigten? Lieber wollten wir zuerst etwas essen. Wir setzten uns in den Gastraum und schlotterten alsbald. Ob er den Kachelofen in Betrieb setzen solle? Wir könnten uns direkt daneben setzen, dann würde uns kuschelig warm werden. Während der Chef des Hauses und der Küche zugleich unser Abendessen bereitete, er zählte er, er würde nur so viele Gäste übernachten lassen, wie er zum Betreiben des Hauses unbedingt benötigte. Westwegwanderer. Und nur solche, die ihm sympathisch seien. Hunde seien grundsätzlich nicht erlaubt. Das Abendessen bestand aus Roggenmischbrot, einigen Schei ben Käse und Schwarzwälder Schinken, allerdings aus der Plastikpackung eines Discounters, Tomaten mit Zwiebeln sowie einem nicht näher definierbaren Hauswein, serviert in einer Karaffe. Um die Nacht auf knapp tausend Meter Höhe zu überstehen, bekamen wir nicht nur Bettwäsche, wie ich sie von meiner Großmutter kannte, sondern einige Thermoskannen heißen Wassers, das unsere Trinkflaschen in Wärmflaschen fürs Bett verwandelte. Am nächsten Morgen hatten sich an den Fenstern zarte Eisblumen gebildet. Über die Matratzen und das Frühstück breiten wir den Mantel des Schweigens, doch eines ist klar: Das Hotel Alexanderschanze unterscheidet sich drastisch von allen anderen deutschen Hotels, und es hat Charme. Wer den Westweg wandert, muss dort übernachten. Sofern einen der Chef lässt.
    Wer wandert, will also essen und schlafen. Wer schläft, sündigt nicht, wer wandert, darf sündigen, vor allem beim Essen. Die längste Etappe des Westwegs führt eben vom Hotel Alexanderschanze bis nach Hausach. Trotz einiger strammer Anstiege wollte ich unbedingt einen Abstecher auf den Brandenkopf unternehmen, weil ich dort noch nie war, ein knapp tausend Meter hoher Buckel mit Sendemast und Aussichtsturm. Hätte ich gewusst, dass wir uns später noch einige Kilometer verlaufen würden, hätten wir das sein lassen. In Hausach waren wir in einem der vielen komfortablen Hotels, doch unser körperlicher Zustand nach knapp vierzig Kilometern Auf und Ab war erbärmlich. So erbärmlich, dass ich nicht einmal mehr in der Lage und willens war, die Speisekarte zu studieren.

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