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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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dessen Zeugen eines Blickes zu würdigen.
    Jörg Wölfling stieß Meister Gero an. »Wir sollten auch gehen.«
    Gero Linner nickte erleichtert. Er lief die Treppe hinab und verließ fast fluchtartig das Haus. Wie sein Freund brannte auch er darauf, die aufregenden Neuigkeiten seiner Frau zu berichten.
    Magister Ruppertus war unten im Flur stehen geblieben und sah nun zu Matthis Schärer hoch, der sich keuchend am Geländerfesthielt. »Ihr werdet verstehen, dass ich nicht weiter Euer Gast sein kann. Wir sehen uns morgen vor Gericht.«
    Meister Matthis stieß einige unverständliche Laute aus, bis seine Stimme klarer wurde. »Geht! Verschwindet, so schnell Ihr könnt. Euch weine ich keine Träne nach. Vergesst aber nicht, die Kerle mitzunehmen, die mein Haus besudelt haben. Ich würde sonst die Beherrschung verlieren und sie erwürgen.«
    Er ging schwankend auf Linhard zu, der immer noch kraftlos an der Wand lehnte. In dem Moment kam Leben in den Schreiber. Er sprang die Treppe hinab, als sei der Teufel hinter ihm her, riss die Haustür auf und verschwand im Dunkel der Nacht.
    Ruppert folgte ihm gemächlich. An der Hoftür griff er nach der Laterne, die er dort abgestellt hatte, zündete sie aber erst draußen auf der Gasse an und blickte sich um. Hinter der nächsten Ecke tauchte Utz wie ein Gespenst aus der Finsternis auf und zerrte Linhard hinter sich her.
    Um Rupperts Mund spielte ein böses Lächeln. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt?«
    Utz lachte. »Es wird alles in Eurem Sinne laufen. Vorher muss ich nur noch dieses Waschweib hier überzeugen, dass es weiterhin mitzumachen hat.«
    Ruppert maß Linhard mit einem strafenden Blick. »Willst du kneifen? Vergiss nicht, dass du es warst, der den Schmetterling in die Kiste des Mädchens geschmuggelt hat. Wenn du falsch spielen willst, lasse ich dich wegen Meineid, Betrug an deinem Brotherrn und einiger anderer Vergehen auf das Rad flechten.«
    Linhard knickte sichtbar zusammen und hob flehend die Hände. »Nein, Herr, ich tue alles, was Ihr mir befehlt.«
    »Dann gehorche Utz. Er wird dir sagen, was du zu tun hast. Jetzt geht! Ich erwarte euch morgen vor Gericht.«
    Der Magister drehte sich grußlos um und schritt davon. Utz zündete einen Kienspan an, hielt ihn mit der linken Hand hoch und stieß den Schreiber mit der Rechten Richtung Rheinufer.

IV.
    E s war Marie, als sei sie nicht mehr sie selbst, sondern ein Geist, der neben ihrem Körper herschwebte und ungläubig auf ihn herabblickte. War sie das, die da barfuß und in einem dünnen Hemd durch die nächtlichen Gassen gezerrt und gestoßen wurde? War das ihr Körper, den eine grobe Hand an Stellen abfingerte, an denen sie sich selbst kaum anzufassen wagte? Das alles konnte doch nicht wahr sein. Sicher hatte sie sich zu sehr wegen der morgigen Hochzeit gegrämt und wurde von einem besonders hässlichen Albtraum gequält.
    Ihr Mund war fest verschlossen, und doch hörte sie sich beten, dass sie bald erwachen und sich in ihrem Bett wiederfinden möge, aber kein Jesuskind und kein Heiliger erhörte sie. Es war, als hielte ein böser Dämon sie gefangen und spiele mit ihr wie mit einer Holzpuppe. Im ersten Moment war sie sogar erleichtert, als Hunold sie unten im Keller des Turms zu Boden stieß und ihre Arme dicht über dem Boden an einen Eisenring band, denn sie hoffte, der Albtraum hätte seinen Höhepunkt erreicht und würde nun platzen wie eine Schaumblase. Gewiss würde sie gleich aufwachen, sich in ihr warmes Federbett kuscheln und an etwas Schönes denken, um die schrecklichen Traumbilder zu vergessen.
    Die Zeit verstrich jedoch, ohne dass sie etwas anderes wahrnahm als feuchte Kälte, die vom Boden her in sie hineinkroch, und eine schier undurchdringliche Schwärze, in die kein Hauch von Mondlicht fiel. Langsam begriff sie, dass sie nicht in einem Traum gefangen war. Stattdessen flüchtete sie sich in die Vorstellung, sie sei einem allzu übermütigen Streich zum Opfer gefallen, wie man ihn widerspenstigen Mädchen vor der Hochzeit zu spielen pflegte. Jeden Moment musste die Tür aufgehen, und dann würden ihr Vater und ihr Bräutigam sie unter dem wilden Gelächter der Nachbarn und der Dienstboten befreien.
    Als etwas Pelziges an ihren Beinen entlangstreifte und ihre unwillkürliche Abwehr mit einem wütenden Fiepen beantwortete, wurde ihr jedoch mit einem Schlag ihr ganzes Elend bewusst. Man hatte sie tatsächlich der Unzucht bezichtigt und wie eine mit ihrem Buhlen im Heu ertappte Magd oder eine gemeine

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