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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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immer wieder um, als hätte er Angst vor seinem eigenen Schatten. Marie fürchtete schon, er würde auch ihr Versteck in Augenschein nehmen, doch da steuerte von der anderen Seite jemand mit kräftigen Schritten die große Weide an. Der Mann verbarg seine Gestalt ebenfalls unter einem weiten Umhang und hatte einen Schlapphut tief ins Gesicht gedrückt. Marie machte sich ganz klein, als er an ihr vorüberging, und dankte Gott dafür, dass just in diesem Augenblick eine Nebelschwade über das Land zog und sie allzu neugierigen Blicken entzog.
    »Hallo, Jodokus, so sieht man sich wieder.« In der Stimme schwang eine Drohung mit, die Marie die Haare aufstellte. Sie presste die Hände auf ihren Mund, um nicht vor Schreck und Wut aufzuschreien, denn sie hatte den Mann erkannt. Es war Utz, der Fuhrmann.
    Jodokus schien sich in seiner Gegenwart ebenso unbehaglich zufühlenwie sie, denn er wich zurück und hob abwehrend die Hände. »Hast du das Geld?«
    »Ja, ich habe es bei mir. Doch vorher will ich die Ware sehen.« Jodokus lachte nervös auf. »Glaubst du, ich sei so dumm und hätte die Schriftstücke mit hierher geschleppt? Sobald du mir das Geld gegeben hast, gehen wir zusammen zu dem Ort, an dem ich sie aufbewahrt habe, und ich händige sie dir unter Zeugen aus.«
    »Nein, mein lieber dem Kloster entsprungener Mönch, das werde ich nicht tun. Du hast uns einmal hereingelegt. Ein zweites Mal werde ich dir nicht erlauben, uns an der Nase herumzuführen. Glaubst du, ich wüsste nicht, wo du die Urkunden, die du für uns gestohlen hast, versteckt hältst? Ab jetzt bist du überflüssig!«
    »Was???« Jodokus schrie voller Panik auf, drehte sich um und wollte weglaufen. Doch Utz packte ihn am Hals, so dass er nicht schreien konnte, und schleppte ihn in die Deckung der großen Weide. Keine drei Schritt von Marie entfernt warf er ihn zu Boden und kniete sich auf ihn. Mittlerweile war es so neblig geworden, dass Marie nur noch zwei Schemen erkennen konnte, und so nahmen nur ihre Ohren wahr, was geschah. Jodokus röchelte, und seine Füße schlugen wie im Veitstanz auf den Boden, während der Fuhrmann ihn verhöhnte.
    »Du bist ein Narr, Magister Ruppertus zu erpressen. Jetzt wirst du der gierigen Schusterin in die Hölle folgen!«
    Bei dem Wort Hölle vernahm Marie das Knacken berstender Knochen. Einen Moment gab es nur noch den schweren Atem des Mörders, dann schleifte etwas über den Boden, und ein großer Gegenstand platschte ins Wasser. Zwei Herzschläge später sah sie etwas Dunkles an sich vorbeitreiben, das Jodokus gewesen sein musste.
    Am Ufer rief Utz, der sich völlig sicher zu fühlen schien, dem toten Mönch einen letzten spöttischen Gruß nach. »Da hast du deinen Lohn, du Dummkopf! So, jetzt werde ich mir holen, was uns gehört, ohne einen Pfennig dafür zu zahlen.«
    Marie erschrak fürchterlich und atmete auch nicht auf, als der Fuhrmann leise vor sich hin lachte. »Als Erstes werde ich mir ein angenehmes Stündchen mit Frau Grete gönnen. Die ist dafür immer zu haben. Dann hole ich mir die Unterlagen aus Jodokus’ Kammer und bringe sie Ruppert. Diesmal muss er ein paar Gulden mehr springen lassen als sonst.«
    Marie hörte ein metallisches Klirren. Das mussten die beiden Schlüssel sein, mit denen Jodokus seine Unterkunft verschlossen hatte. Utz hatte offensichtlich damit gerechnet, dass Jodokus sie bei sich trug, und sie dem Toten abgenommen, ehe er ihn ins Wasser warf. Bei seinen halblaut vor sich hin gemurmelten Überlegungen war er ihrem Versteck so nahe gekommen, dass sie den Atem anhielt, um sich nicht durch ein Rascheln der Blätter zu verraten.
    Wenn Utz jetzt in die Stadt ging, um das Paket aus Jodokus’ Kammer zu holen, würde er nicht nur feststellen, das die gesuchten Schriftstücke verschwunden waren, sondern auch erfahren, dass Jodokus Besuch von einer Frau gehabt hatte. Marie versuchte abzuschätzen, wie lange Utz benötigen würde, sie zu finden. Eine Stunde, vielleicht zwei. Mehr würden es nicht sein. Also musste sie die Stadt so rasch wie möglich verlassen. Alles in ihr schrie danach, nicht mehr in die Herberge zurückzukehren. Dann aber biss sie sich in die Finger, um die Angst zu überwinden. Sie durfte Hiltrud nicht im Stich lassen.
    Marie spähte hinter dem Busch hervor und lauschte dem sich entfernenden Pfeifen. Der Mord an Jodokus schien Utz’ Gewissen nicht im Geringsten zu belasten. Für einen Augenblick dachte Marie daran, in die Stadt zu laufen und ihn als Mörder

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