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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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anzuzeigen. Aber das Wort einer Frau, zumal einer Hure, wog vor einem irdischen Gericht weniger als eine Daunenfeder. Utz würde ihr ins Gesicht lachen und sich freuen, weil sie ihm damit die Arbeit abgenommen hatte, nach ihr zu suchen. Sie wartete daher, bis sie sicher sein konnte, dass er die Stadt erreicht hatte,und lief so schnell, wie es der durch den aufgehenden Mond geisterhaft erhellte Nebel zuließ, zu ihrer Herberge zurück.
    Das Glück war ihr hold, denn sie fand die Herberge auf Anhieb. Das Tor des Hauses war noch unverschlossen, und aus dem Schankraum hörte sie laute Stimmen herausdringen. Als die Männer drinnen für einen Moment schwiegen, klapperten Beinwürfel in einem Lederbecher, gefolgt von einem Jubelruf und einem obszönen Fluch. Marie drückte sich unbemerkt an der Tür der Schankstube vorbei und schlüpfte in ihre Kammer. Hiltrud hockte auf ihrem Lager und starrte sie im fahlen Licht eines kleinen Kerzenstummels besorgt und gleichzeitig erleichtert an.
    »Da bist du ja endlich. Ich hatte schon befürchtet, du wärst mit dem Mönch durchgebrannt.«
    »Eher er mit mir«, antwortete Marie. »Aber Scherz beiseite. Wir müssen sofort aufbrechen. Es geht um unser Leben.«
    Hiltrud sah sie entgeistert an. »Was ist geschehen?«
    »Jodokus wollte Ruppert erpressen, und Utz hat ihn dafür umgebracht.«
    »Der gleiche Utz, der dich vergewaltigt hat?« Hiltrud las nackte Angst auf Maries Gesicht.
    Marie versuchte, beruhigend zu lächeln, aber es gelang ihr nicht.
    »Ja, ebender. Es kann nicht lange dauern, bis er herausgefunden hat, dass ich genau das besitze, was er Jodokus abnehmen wollte, und dann sind wir an der Reihe.«
    Hiltrud zog die Schultern hoch, als friere sie. »Dann lass uns aufbrechen. Mir tut es nur Leid, dass wir die Kammer für zwei Wochen im Voraus bezahlt haben und nicht einmal eine einzige Nacht darin schlafen konnten. Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben, den Raum erträglich zu machen. Hier hätten wir in aller Ruhe unsere Zelte zusammennähen können.«
    Marie winkte ab. »Mir tut es nicht Leid. Ich ziehe eine Nacht unter freiem Himmel diesem Stinkloch vor.«
    »Ich sagte dir doch, dass du zu zimperlich bist«, spöttelte Hiltrud,packte jedoch flink ihre Sachen und verteilte ihre letzten Einkäufe auf ihr und Maries Tragetuch. Dann schnürte sie ihre Habe zu einer Traglast zusammen und schulterte sie. Bevor sie die Tür öffnete, blies sie die Kerze aus und steckte den Stummel ein.
    »Schließlich haben wir dafür bezahlt«, sagte sie zu Marie, die lautlos wie ein Gespenst an ihr vorbeiglitt und die Treppe hinunterhuschte. Zu ihrer Erleichterung kamen sie ungesehen aus dem Haus und flohen zum zweiten Mal in diesem Jahr ins Ungewisse.

FÜNFTER TEIL
     
Das Konzil

I.
    M arie saß auf einem Holzklotz und zog mit ihren nackten Zehen Linien in den weichen Sand. Sie langweilte sich, und den anderen erging es ebenso. Hiltrud hockte vor ihrem Zelt und nähte verbissen, und die beiden Huren, mit denen sie sich im letzten Jahr nach ihrer Flucht aus Straßburg zusammengetan hatten, hockten mit mürrischen Gesichtern herum und starrten den Marktplatz an, als gäben sie ihm die Schuld, dass kein Freier auftauchte.
    Helma, die Sächsin, war eine hübsche junge Frau mit rundem Gesicht, blitzenden braunen Augen und brünetten Haaren. Nina, mit den dunklen Locken und schwarzen Augen einer Südländerin, war die Kleinste der Gruppe und reichte Marie gerade bis zum Kinn. Ihr fremdartiges Aussehen und ihre zierliche Figur, die Rundungen an den richtigen Stellen aufwies, lockten sonst ebenso viele Männer an wie Maries engelsgleiche Schönheit. Doch hier in Frundeck am Neckar war es, als gäbe es keine wohlhabenden Kunden mit prall gefüllten Börsen mehr. Verirrte sich einmal ein Mann zu ihnen, schüttelte er, wenn er ihre Preise erfuhr, meist bedauernd den Kopf und wanderte hinüber zu den Pfennighuren.
    »Keine Herren von Stand, keine Kaufherren, ja, noch nicht einmal wohlhabende Handwerker mit Pelzstreifen an den Mänteln sind hier auf dem Markt«, zählte Helma die vermissten Freier in ihrem seltsam klingenden Dialekt auf. »All die gut betuchten Männer können doch nicht von der Erde verschluckt worden sein.«
    Hiltrud nickte verdrossen. »In Kiebingen und Bempflingen letztenHerbst war das noch ganz anders. Damals drängten so viele Männer in unsere Zelte, dass wir die meisten abweisen mussten. Doch ausgerechnet im Frühjahr, wo wir sonst die besten Geschäfte machen, taucht keiner auf,

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