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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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schlechter Scherz sein.«
    Statt einer Antwort winkte der Anführer seinen Männern, die auf die Frauen zutraten und ihnen mit geübten Bewegungen die Hände fesselten und Stricke an ihren Hüften befestigten.
    »Wohin bringt ihr uns?«, fragte Frieda Flühi.
    »In den Ziegelturm, da der Kerker bereits überfüllt ist«, gab der Mann bereitwillig Auskunft.
    Hedwig erbleichte und starrte ihre Mutter angstvoll an. Frieda zuckte schicksalsergeben mit den Schultern.
    »Hättet ihr uns nicht Zeit lassen können, uns anzukleiden? Oder wollt ihr uns im Nachtgewand durch die Straßen schleifen?«
    Der Mann sah so aus, als würde er sie am liebsten nackt mitnehmen, ließ aber zu, dass Wina den beiden Frauen Mäntel über die Schultern hängte. Dann stießen seine Knechte die Gefangenen vor sich her aus dem Haus und führten sie durch die Reihen der Gaffer, die sich vor dem Haus versammelt hatten.
    Die Lehrlinge und Mägde hatten sich schon kurz nach der Verhaftung des Hausherrn aus dem Staub gemacht, und so blieben Wilmar und Wina allein zurück. Die alte Haushälterin war nicht ansprechbar. Sie jammerte und betete, als erwarte sie, dass der Himmel aufriss und das Jüngste Gericht über die Menschen kam. Der Geselle strich hilflos durch die Werkstatt, ohne fassen zu können, was geschehen war. Ausgerechnet die sanfte, liebenswürdige Hedwig sollte geholfen haben, einen Menschen zu töten? Nein, dazu war sie, dazu waren auch ihre Eltern nicht fähig.
    Zuerst klammerte Wilmar sich an die Überzeugung, das Ganze würde sich als Irrtum herausstellen, und erwartete, Mombert Flühi mit den beiden Frauen jeden Augenblick zurückkehren zu sehen. Aus Gewohnheit setzte er sich auf seinen Platz und begann, ein neues Fass zu binden.
    Plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihm den Angstschweiß ausbrechen ließ. Was war, wenn die Büttel ihn als Mittäter ansahen und ebenfalls gefangen setzen wollten? Wer einmal in die Mühlender Justiz geriet, hatte kaum Gnade zu erwarten. Er stieß die Fassreifen von sich, rannte panikerfüllt aus dem Haus und hielt erst inne, als er das in die Stadelhofener Vorstadt führende Augustinertor vor sich sah. Dort lehnte er sich zitternd an eine Hauswand und überlegte, was er tun sollte.
    Hedwigs Bild tauchte vor seinen Augen auf. Seine Phantasie malte ihm aus, wie sie angebunden im kalten, feuchten Keller des Turms saß und sich noch nicht einmal die Tränen trocknen konnte. Jetzt kam er sich wie ein Feigling und Verräter vor. Er liebte Hedwig über alles und hatte trotzdem keinen Finger gerührt, um ihr zu helfen.
    Wilmar erinnerte sich nun an das, was ihm sein Meister in einer sentimentalen Stimmung über seine Nichte Marie erzählt hatte, die fünf Jahre zuvor ebenfalls in den Ziegelturm gesperrt worden war. Das Mädchen hatte am nächsten Tag bei der Jungfrau Maria geschworen, dass sie dort in der Nacht von drei Männern geschändet worden war. Außer Meister Mombert hatte jedoch niemand ihren Worten Glauben geschenkt, und so war sie ausgepeitscht und aus der Stadt vertrieben worden. Damals hatte Wilmar sich nicht vorstellen können, dass ein Stadtbüttel sich für so einen Schurkenstreich hergeben würde. Jetzt aber quälte ihn der Gedanke, die rohen Gerichtsknechte könnten in Hedwigs Zelle eindringen und ihr Gewalt antun. In seinen Augen waren die Kerle, die Hedwig und ihre Mutter abgeführt hatten, nicht vertrauenswürdiger als das Söldnergesindel, das in der Stadt herumstreifte und jedes weibliche Wesen belästigte.
    Wilmar warf einen Blick auf das Augustinertor, an dem lebhaftes Kommen und Gehen herrschte, und wäre am liebsten hindurchgegangen und weitergelaufen, bis er die Tür seines Vaterhauses hinter sich hätte schließen können. Doch dann drehte er sich mit einem verächtlichen Schnauben, das seiner Kleinmütigkeit galt, um und wanderte suchend durch die Stadt, ohne zu wissen, wonach er Ausschau hielt. Wenn er Hedwig helfen wollte, musste ersich bald etwas einfallen lassen, aber sein Kopf war so leer wie ein trockener Weinschlauch.

XII.
    N achdem Ruppertus Splendidus sich überzeugt hatte, dass niemand den Flur vor der guten Stube betreten und ihn belauschen konnte, schloss er die Zimmertür hinter sich und trat an den Tisch, an dem sein Halbbruder Konrad von Keilburg beim Frühstück saß. Er streifte den großen Humpen Wein und das mächtige Stück Braten, die vor dem Grafen standen, mit einem schaudernden Blick und fragte sich, wie ein Mensch so viel in sich hineinschlingen konnte. Man

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