Die Wanderhure
sich ein überlegenes Lächeln ab. »Nur durch diese Schliche, wie du es nennst, ist dein Oheim überhaupt noch am Leben. Wenn wir den Lehrjungen Melcher in die Hand bekämen, könnten wir den wahren Mörder entlarven und dem Keilburger einen Schlag versetzen, gegen den er sich kaum wehren kann.«
Marie senkte traurig den Kopf. Michels Männer waren längst zurückgekehrt, nur Wilmar reiste immer noch auf der Suche nach Melcher herum, der wie vom Erdboden verschluckt schien. Das gestand sie dem Württemberger.
Der Graf hatte nichts anderes erwartet. »Meines Erachtens ruht der Bursche längst auf dem Grund des Bodensees.«
Marie schlug die Hände vors Gesicht. »Um Gottes willen, nein! Melcher ist der einzige Zeuge, der die Unschuld meines Oheims beweisen kann.«
»Dann wollen wir hoffen, dass er noch lebt und dein Wilmar ihn findet.« Die Stimme des Württembergers hörte sich nicht gerade hoffnungsvoll an.
Um Marie zu trösten, legte er ihr den Arm um die Schulter und zog sie an sich. »Der Prozess gegen deinen Onkel ist nicht von vorneherein verloren. Man muss dem Kaiser nur klar machen, dass Junker Philipp Flühis Tochter vergewaltigen wollte, und schon besteht die Möglichkeit, dass er begnadigt wird. Allerdings benötigen wir dafür einen Verteidiger, der sich eines guten Rufes erfreut. Ich gelte nun einmal nicht als Beispiel für ein sittsames Leben.«
Graf Eberhard lachte über seine eigenen Worte. »Es ist nichtleicht, mit Kaiser Sigismund zu leben, Marie. Die Kurfürsten haben ihn zum Kaiser des Reiches und zum deutschen König gewählt und ihn damit zum mächtigsten Mann der Christenheit gemacht. Doch den Verstand, den dieses Amt fordert, haben sie ihm nicht verleihen können. Er ist kleinlich, wenn er sich huldvoll zeigen sollte, leicht beleidigt und unnötig schroff. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, will er es mit allen Mitteln durchdrücken und verträgt dabei keinerlei Widerspruch. Erinnere dich an den Tiroler Friedrich, über den er die Reichsacht verhängt hat, weil dieser Papst Johannes zur Flucht aus Konstanz verhalf.«
»Aber der Kaiser hat dem Habsburger mittlerweile doch wieder verziehen.«
»Weil er musste. Friedrich hat viele Freunde, die auch der Kaiser nicht so einfach beiseite schieben kann. Der Papst wurde wieder festgesetzt, und damit hat der Kaiser im Augenblick keinen Grund mehr, sich mit dem Habsburger zu streiten. Sigismund kümmert sich immer nur um das, was ihm gerade am Herzen liegt, und vergisst darüber beinahe alles andere.«
Marie erinnerte sich an den Prozess gegen Papst Johannes XXIII., der vor versammeltem Konzil verurteilt worden war, weil er zu Unrecht auf dem Stuhl Petri säße. Kaiser Sigismund hatte den abgesetzten Papst, der im letzten Oktober mit großer Pracht in Konstanz empfangen worden war, den bitteren Kelch der Niederlage bis zur Neige austrinken und ihn zu Fuß und in Ketten nach Gottlieben schleppen lassen, wo man ihn jetzt gefangen hielt. Wenn der Kaiser schon einen hochgeborenen Herrn so behandeln ließ, wie mochte er mit einem einfachen Bürger verfahren? Erst nach einer Weile wurde ihr gewahr, dass der Württemberger das Thema gewechselt hatte.
»Hörst du mir überhaupt zu, Mädchen? Ich habe gesagt, du solltest es in der nächsten Zeit vermeiden, über den böhmischen Magister Jan Hus zu sprechen oder ihn gar als aufrechten Mann zu loben. Seine Predigten haben Sigismund erzürnt, und kaiserlicheStrafen treffen meist nicht nur denjenigen, der sie herausgefordert hat, sondern auch die Leute, die auf der falschen Seite stehen.«
»Was kann denn schon passieren? Magister Hus kam auf kaiserliche Einladung und mit kaiserlichem Schutzbrief zum Konzil.«
»Kaiserliche Schutzbriefe sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren«, spottete der Württemberger.
Marie bezog diese Worte sofort auf sich. Wenn der Schutzbrief nichts mehr galt, dann war auch sie in Gefahr, denn in den Gerichtsakten der Stadt Konstanz war niedergeschrieben, wie man mit ihr verfahren solle, wenn sie in die Stadt zurückkehrte. Sie fühlte sich so hilflos wie ein Blatt im Sturm und empfand ihre Hoffnung, ihrem Onkel das Leben retten zu können, auf einmal als lächerlich. Sie war so rechtlos wie eine Aussätzige, und ihr Plan, Ruppert mit legalen Mitteln zu Fall zu bringen, erschien ihr nun selbst vermessen. Noch nicht einmal der Graf, der zu den Mächtigen im Reich zählte, besaß genug Einfluss, Mombert Flühi zur Freiheit zu verhelfen oder Ruppertus Splendidus
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