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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sein, denn er schenkte einen Krug Bier ein und reichte ihn Michel verstohlen.
    »Hier. Das erfrischt und gibt neue Kraft.«
    »Danke.« Michel sah sich kurz um, ob sein Vater hersah, und trank den Krug in einem Zug leer. Guntram Adler war nämlich der Ansicht, dass Wein und Bier für ihn und seine Gäste da waren. Für seine Söhne reichte Brunnenwasser. Nur Bruno durfte sich von Zeit zu Zeit mit seiner Erlaubnis einen kleinen Krug füllen, da er der Älteste war.
    Jetzt, da er zur Ruhe gekommen war, stand sofort wieder Maries von Schmerzen gezeichnetes Gesicht vor Michels Augen. Er ballte die Fäuste und machte sich Vorwürfe, weil er vor lauter Arbeit nicht dazu gekommen war, Pläne zu machen. Er verachtete sich für seine Feigheit und sagte sich, dass es besser gewesen wäre, einfach davonzulaufen, anstatt vor seinem Vater zu kuschen.
    Während er sich ein Stück Brot abbrach und ein wenig Fleisch von dem Spanferkel abschnitt, das über dem Feuer briet, kreisten seine Gedanken um das Mädchen, das er mit jeder Faser seines Seins liebte. Er musste ihr helfen, auch wenn es ihn noch das wenige kostete, das er besaß, nämlich die Heimat. Vorsichtig sah er sich um und überlegte, wie er unbemerkt das Haus verlassenkonnte. Wenn sein Vater ihn vermisste, würde er Bruno oder seine beiden jüngeren Brüder hinter ihm herschicken. Also brauchte er einen genügend großen Vorsprung.
    Als er seine jüngeren Brüder mit verschwitzten Schöpfen aus dem Keller auftauchen sah, fragte Michel sich jedoch, ob sich tatsächlich jemand um sein Verschwinden kümmern und ihm folgen würde. Schließlich hatte er sieben Brüder und zwei Schwestern, die versorgt werden mussten. Küni, den Zweitältesten, hatte der Vater als Knecht beim Sternwirt in Meersburg untergebracht, nicht zuletzt in der Hoffnung, er könne die einzige Tochter und Erbin seines Meisters für sich gewinnen. Rasso, der Drittgeborene, arbeitete als Knecht bei den frommen Brüdern auf der Reichenau und würde wahrscheinlich das Mönchsgelübde ablegen. Michels jüngster Bruder Wolfhard war schon vor Jahren einem Vetter in Kreuzlingen, der keine eigenen Kinder besaß, zur Erziehung übergeben worden. Er würde einmal die stattliche Herberge zum Schwan erben. So waren außer Michel noch drei Brüder im Haus. Da jedoch nur einer die Wirtschaft bekommen konnte, mussten die Jüngeren, für die sich nichts anderes gefunden hatte, als Knechte bei dem Ältesten bleiben, ohne Aussicht, je eine eigene Familie gründen zu dürfen. Michel mochte seinen ältesten Bruder recht gern, obwohl jetzt schon abzusehen war, dass Bruno ihn später, wenn er Wirt geworden war, nicht anders behandeln würde als der Vater.
    Eine dröhnende Stimme riss Michel aus seinen Gedanken. Guntram Adler stand über ihm und holte mit der Hand aus.
    »Hältst du schon wieder Maulaffen feil? Mach, dass du an die Arbeit kommst. Vor dem Haus sitzen Gäste, die bedient werden wollen.«
    Michel verkrampfte sich in Erwartung des Schlages, doch sein Vater wandte sich ab, um die Frage eines Nachbarn zu beantworten. So nahm er das halbe Dutzend Krüge entgegen, das Bruno ihm reichte, und eilte hinaus. Auf der kleinen Wiese vorder Wirtschaft hatten sich viele jüngere Leute versammelt, die in der Schankstube keinen Platz mehr gefunden hatten. Die meisten von ihnen waren Gesellen, die in den Gassen rings um die Schenke arbeiteten, aber es hatten sich auch etliche Söhne von Handwerkern und Zunftmeistern eingefunden, die wie gewöhnlich das große Wort führten. Ihr Hauptthema hieß natürlich Marie. Die jungen Burschen ließen sich lang und breit über ihre körperlichen Vorzüge aus, die auf dem Marktplatz zur Schau gestellt worden waren.
    »Ich war so nahe am Schandpfahl, dass ich sehen konnte, wie ihre Brustwarzen bei jedem Schlag zitterten«, behauptete Benedikt Munk, der Sohn des Goldschmieds, mit glitzernden Augen.
    Ein junger Geselle sah ihn neidisch an. »Wenn ich gewusst hätte, was für ein hübscher Bissen die Schärerstochter ist, wäre ich ihr auch unter die Röcke gekrochen. Schlechter als Linhard hätte ich es ihr gewiss nicht besorgen können.«
    Der Goldschmiedssohn lachte ihn aus. »Pah, die Marie hätte so einen Hungerleider wie dich nicht einmal an ihren Schenkeln schnuppern lassen. Du hast doch gehört, dass sie es nur für Geld und schöne Dinge getan hat.«
    »Glaubst du, du wärst bei ihr zum Zug gekommen?«
    Benedikt winkte gelangweilt ab. »Glauben? Pah! Ich habe es ihr ein paarmal besorgt, und

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