Die Wanderhure
hatte eine kleine Kammer erwartet, gerade groß genug, dass zwei Strohsäcke Platz fanden. Guda führte sie jedoch in ein sauberes, geräumiges Zimmer, das größer war als der Raum, in dem ihr Vater daheim seine Gäste empfangen hatte. Ander Stirnseite befand sich ein breites Bett, in dem zwei Menschen bequem schlafen konnten, und daneben stand eine wuchtige Truhe, in die ihr und Hiltruds Besitz samt den beiden Zelten mehrmals hineingepasst hätten. Der Boden war mit Teppichen aus aneinander genähten Stoffstreifen bedeckt, die im Winter warme Füße versprachen. Das Ungewöhnlichste war der kunstvoll verzierte Kachelofen, um den eine Bank lief, die mit kleinen Schafswollteppichen bedeckt war. Dazu gehörten noch ein Tisch, dessen Platte aus einem einzigen Stück Buchenholz angefertigt worden war, und drei Stühle aus dem gleichen Holz. Der Wert der Einrichtung wurde von den beiden schmalen Fenstern übertroffen, deren Bleifassungen gelblich schimmerndes Glas enthielten, welches den Raum bei Tag in ein weiches Licht tauchte. Der hölzerne Rahmen ließ sich, wie Hiltrud sogleich ausprobierte, problemlos öffnen, so dass man in den Burghof und auch über die Mauern hinaus ins Land schauen konnte.
»Das ist ja feudal«, sagte sie sichtlich beeindruckt. »So nobel habe ich noch nie gewohnt. Hoffentlich dürfen wir wirklich den Winter über hier bleiben.«
»Was sollte uns daran hindern?«
»Na ja, diese dumme Fehde halt. Solange Herr Dietmar im Streit mit dem Keilburger steht, wird er wohl nicht nach deinen Umarmungen verlangen.«
Marie teilte diese Befürchtung. Wenn Ritter Dietmar zu der Ansicht kam, dass er sie nicht brauchen konnte, würde er sie kurzerhand auf die Straße setzen. Unter anderen Umständen hätte Marie sich deswegen keine Sorgen gemacht. Solange der Herbst noch einigermaßen warm war, kamen sie zurecht. Aber ein Rauswurf hätte sie der ersten Chance seit fast vier Jahren beraubt, etwas über ihren ehemaligen Verlobten und dessen Pläne zu erfahren.
In den nächsten zwei Stunden gaukelten Maries überreizte Nerven ihr vor, dass man sie umgehend wieder aus der Burg jagen würde. Der Blick aus dem Fenster war alles andere als ermutigend,denn überall liefen Herrn Dietmars Leute und die Reisigen seiner Verbündeten herum. Marie versuchte, die Soldaten zu zählen, aber sie konnte die Männer in ihren Kriegstrachten kaum voneinander unterscheiden, und als sie bemerkte, dass sie einige doppelt gezählt hatte, gab sie es auf. Sie war jedoch sicher, dass die Burg mehr als hundert Gewappnete in ihren Mauern barg.
Hiltrud wurde es schließlich zu dumm. »Setz dich endlich hin. Mit deinem Hin-und-her-Rennen machst du mich noch verrückt.«
Marie nahm auf einem der Stühle Platz und schlang die Arme um ein hochgezogenes Knie, als müsse sie sich festhalten. Das war wohl nötig, denn sie schreckte bei jedem Geräusch hoch, sah zur Tür und starrte dann wieder zum Fenster hinaus, obwohl sie von ihrem Platz aus nur den Himmel sehen konnte.
Hiltrud stellte sich schließlich vor sie und stemmte die Arme in die Hüften. »Warum bist du denn so aufgeregt? Du benimmst dich ja wie ein Huhn, dem man die Eier aus dem Nest genommen hat.«
Marie zog die Schultern hoch und legte die Arme um den Leib, als fröre sie. »Es geht um den Grafen Keilburg. Ich muss unbedingt mehr über ihn erfahren.«
»Was hast du mit dem zu schaffen?«
»Mit ihm nichts, aber umso mehr mit seinem Halbbruder.«
Hiltrud starrte sie einen Moment verständnislos an und hob dann verblüfft die Augenbrauen. »Sag bloß, dieser Ruppertus Splendidus, von dem Giso gesprochen hat, ist dein verflossener Bräutigam?«
Marie ballte die Fäuste. »Da bin ich mir ganz sicher. Verstehst du nun, warum es fatal wäre, wenn wir gleich wieder fortziehen müssten?«
»Kannst du eigentlich auch an etwas anderes denken als an deine Rache?« Hiltruds Stimme klang eher belustigt. Sie hatte Marie oft genug versucht beizubringen, dass eine verachtete Wanderhuregegen einen so hohen Herrn nichts ausrichten konnte, aber sie hatte das Gefühl, gegen eine Wand zu reden.
Marie hatte sich Hiltruds Einwände in den letzten Jahren so oft anhören müssen, dass sie sie herbeten konnte, daher hob sie abwehrend die Hände. »Ich weiß, was du mir sagen willst. Behalte es diesmal bitte für dich. Ich muss nachdenken.«
»Zerbrich dir aber nicht den Kopf. Er ist etwas arg hart zum Zusammennähen.«
Marie hörte nicht mehr hin. Ihre Gedanken kreisten um Rupperts
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