Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
und was die Ritter selbst anging, so herrschte bis Ende der Woche Turnierfrieden. Nach diesen Überlegungen fühlte Arigund ihre gewohnte Energie zurückkehren. Voller Elan kümmerte sie sich um die Unterbringung der weiblichen Mitglieder des Trosses, überwachte Aufbau und Einrichtung des Zeltes und organisierte all die Kleinigkeiten, die den Damen das Leben angenehm machten. Es dauerte bis in den Abend hinein, bis alle weitgehend zufriedengestellt waren, sodass auch Arigund sich ausruhen konnte. Nach dem Essen war sie so erschöpft, dass sie augenblicklich in einen tiefen und traumlosen Schlaf sank.
*
Annelies war, gemeinsam mit den anderen beiden Zofen, die die Reisegesellschaft begleiteten, im Zelt neben den adeligen Damen einquartiert worden. Sie hatte in dieser Nacht nur wenig geschlafen. Ihre Gedanken kreisten um ihre Zukunft, und die konnte sie sich ohne Matthias nicht mehr vorstellen. Zu viel hatten sie mittlerweile gemeinsam durchgestanden. Andererseits war ihr auch klar, dass, nachdem ihr Rotbart nun kein angesehener Rossknecht mehr war, eine Verbindung zwischen ihnen noch weniger denkbar war als schon zuvor. Auch Matthias hatte das verstanden. Zwischenzeitlich hatte er sie angefleht, ihn nicht mehr zu treffen, aber nach wenigen Tagen war auch seine Sehnsucht zu stark geworden. Er konnte genauso wenig von ihr lassen wie sie von ihm. Annelies hatte sein Gerede von Trennung sowieso nie ernst genommen. Im Grunde war Matthias nicht weniger verzweifelt als sie, nur schien er bereit, sein Schicksal hinzunehmen und das war nun einmal eine Zukunft als Pferdehirt. Zuerst hatte Annelies geglaubt, dass seine Liebe nicht so groß und stark wie die ihre sei, aber dann war ihr klar geworden, dass er nur deshalb auf sie verzichten wollte, weil er ihr nicht zumuten mochte, ihr schönes Leben als Zofe gegen das der Frau eines hörigen Hirten einzutauschen. Annelies reagierte auf Matthias’ Degradierung ganz anders: Zunächst war sie wütend gewesen, dann war ihr Zorn in kalte Vernunft umgeschlagen. Wenn ihnen kein anständiges Leben auf dieser Burg gestattet sein sollte, dann gab es nur eine einzige Lösung: ein Leben ohne die Burg. Mittlerweile hatte Annelies zwar einen Plan, wusste ihn allerdings noch nicht umzusetzen. Vor allem benötigte sie Geld. Wie aber daran kommen?
Als der Morgen graute, war Annelies der Lösung ihres Problems immer noch nicht näher gekommen. Zerschlagen raffte sie sich auf, ging zum Bach und wusch sich. Sie war keineswegs die Einzige, die bereits auf den Beinen war. Im Lager herrschte trotz der frühen Stunde reges Treiben: Mit gedämpften Stimmen wurde munter geschnattert. In den Zelten begann sich das Leben zu regen. Knappen spitzten frech unter den Stoffbahnen heraus, und Ritter blinzelten in die aufgehende Sonne. Nur bei den Damen des Brennberger Zeltes schien sich noch nichts zu rühren. Annelies beschloss, ihre Herrin zu wecken, wenn sie nicht schon von der Morgensonne wachgekitzelt wurde.
Ohne Annelies hätte Arigund vermutlich die Morgenmesse verschlafen. Müde wusch sich das Patriziermädchen das Gesicht mit eiskaltem Wasser aus dem Bach. Die Zofe hatte Arigunds Kleid und Cotte schon bereitgelegt. Mit geübten Händen half sie ihrer Herrin in die Kleidungsstücke und gab sich heute besonders viel Mühe.
»Wie schön dein Kleid ist«, lobte schließlich Magdalena und seufzte: »Ich hätte auch gerne ein so prächtiges Schappel!«
Arigund beschloss, heute einmal großzügig zu sein. Normalerweise lieh sie den Schwestern ungern etwas, da sie Arigunds Meinung nach nicht achtsam genug mit den Sachen umgingen. Doch heute wollte sie eine Ausnahme machen. »Annelies, sieh doch bitte einmal nach, ob wir die schöne Fibel aus Messing dabei haben. Sie würde prächtig zu Eustancias Gewand passen. Und das seidene Tuch mit der edlen Stickerei würde Magdalenas hellen Teint bestimmt wirkungsvoll zur Geltung bringen.«
Hurtig war beides gebracht und befestigt. Die beiden Schwestern drehten sich vor Arigunds Handspiegel und bekamen rote Wangen vor Begeisterung.
»Berta hat uns nie etwas so Schönes geliehen«, schwärmte Magdalena hingerissen.
»Dürfen wir das den ganzen Tag tragen, ich meine, auch wenn wir unter dem Baldachin stehen und den Rittern beim Turnier zusehen?«, fragte Eustancia keck.
Arigund antwortete mit einem Nicken. Dann scheuchte sie die beiden Mädchen aus dem Zelt. »Jetzt sollten wir uns beeilen. Wir sind schon spät dran.«
Dank des schönen Sonnenwetters konnte die
Weitere Kostenlose Bücher