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Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karolina Halbach
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über hatten die Eulen geschwiegen, doch heute Nacht tönte ihr klagender Ruf wieder über die Burg. Der Truchsess verlor jegliche Farbe.
    »Arigund«, flüsterte er mit erstickter Stimme. »Hast du es auch vernommen? Der Totenvogel ruft.«
    Das Mädchen nickte, und Tränen füllten seine Augen. »Nur eine dumme Eule, Herr. Soll ich sie verscheuchen lassen?«
    »Aber mir war, als riefe sie nach mir.«
    »Zuweilen klingt es so, aber es ist der Wind, der die Stimmen verzerrt.«
    Das Mädchen zupfte die Decke zurecht, erhob sich und flüsterte: »Ihr solltet schlafen, Herr. Ruht Euch aus.«
    Dem Kranken waren die Augen zugefallen, dann aber rief er sie doch zurück: »Arigund, du bist doch schreibkundig?«
    »Ja, hoher Herr.«
    »Siehst du dort drüben Feder und Pergament am Schreibpult?«
    Die junge Frau nickte.
    »Du musst die Feder für mich führen, Mädchen, aber vorher schwöre mir auf die Bibel, dass du Stillschweigen halten wirst über das, was ich dir diktiere. Und lass meine Gattin holen.«
    Arigund nickte und sagte dem Gardisten Bescheid, der vor der Tür wachte. Als sie die Tür geschlossen hatte und zum Schreibpult getreten war, vernahm sie erneut das unheimliche Klagen der Eule. Sie schauderte und nahm sich vor, heute Nacht am Bett des Truchsess zu wachen. Sie hatte den Vogel so deutlich gehört, als hätte ein menschliches Wesen vom Dach gegenüber gerufen: »Komm mit«, wie schon im vergangenen Sommer, und diesmal hatte auch der Truchsess ihn den »Totenvogel« genannt, genau wie damals Magdalena. Arigund zog die wollene Cotte fester um sich. Sie sollte sich nicht diesen abergläubischen Gedanken hingeben. Eine Zandt lässt sich nicht von einer Eule erschrecken, und der Truchsess war ein starker Mann. Er würde die Nacht überstehen und in ein paar Tagen darüber lachen, dass er sein Testament gemacht hatte.
    Nachdem die Worte des Truchsess zu Papier gebracht und das Schreiben unterzeichnet und versiegelt worden war, nahm die Frau des Truchsess Arigund am Arm. »Mein Kind«, sagte die Burgherrin mit eindringlicher Stimme, »schwöre bei deinem Leben, dass du niemandem von diesem Schriftstück erzählst, und sei er dir noch so vertraut.«
    Die beiden Frauen waren auf den leeren Flur hinausgetreten, benommen und überrascht von Reimars Testament.
    »Bei meinem Leben«, flüsterte Arigund. Ihre Schwiegermutter nickte zufrieden und barg die Pergamentrolle an ihrem Busen.
    »Dann lass uns hoffen, dass wir dieses Pergament noch lange versiegelt lassen können.«
    »Ihr wisst, wie sehr ich selbst das wünsche, hohe Herrin«, bestätigte Arigund.
    Schwere Schritte hallten im Flur. Kurz darauf erblickten die Frauen Sigurd. Er grüßte sie mit einer Mischung aus Ehrerbietung und Spott und trollte sich Richtung Burghof.
    »Ich wünschte, dein Gatte würde sich nicht mit solchem Gesindel abgeben«, seufzte Kunigund. Sie schüttelte den Kopf und legte fürsorglich den Arm um Arigunds Schulter. »Aber mach kein so besorgtes Gesicht, Kind«, meinte sie dann wieder zuversichtlicher. »Es wird schon wieder werden. Wir Alten verlieren unsere Zähne nicht mehr so leicht wie die Kinder. Bei denen geht es ruck zuck, eines nach dem anderen, und schon lacht ein hübsches neues Gebiss. – Du musst ihn aufheben, den ersten Zahn deines Kindes. Man sagt, das bringt Glück. Und jetzt husch, husch ins Bett. Ich werde nachher am Lager des Truchsess wachen.«
    Die Burgherrin machte ein Zeichen, dass Arigund entlassen war.
    »Wie Ihr wünscht«, fügte sich das Mädchen und ging nachdenklich zu ihrer Kemenate. Erstaunt bemerkte sie, dass bei Wirtho noch Licht brannte. Dann hatte ihre Schwiegermutter offensichtlich Recht gehabt. Sigurd war aus Wirthos Kemenate gekommen, was nur eines bedeuten konnte: Ihr Gatte verbrachte eine weitere Nacht mit Zechen und Glücksspiel. Naserümpfend wollte Arigund an der Tür vorbei eilen, als sie merkwürdige Geräusche hörte. Es klang fast wie ein Würgen. Arigund zögerte kurz, ob sie anklopfen und Hilfe anbieten sollte, doch dann schüttelte sie den Kopf. Sollte sich der Kerl die Seele aus dem Leib kotzen, wenn er sich nicht mäßigen konnte.

*
    Der nächste Tag begann grau und eisig kalt, als wollte der Winter wieder auf Burg Brennberg zurückkehren. Der Wind ging der Zofe durch und durch, als sie zum Münchstein eilte. Annelies bereute es, dass sie statt ihrer wollenen Cotte ihr Sommerdirndl abgeändert hatte. Jetzt fror sie erbärmlich. Nur wenige Frauen warteten leise schwatzend vor dem

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