Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
»Ja?«
»Herrin, i bins, d’ Resl«, kam es von draußen. »Derf I reikommen?«
Ohne eine Zustimmung abzuwarten, öffnete sich die Tür, und die Alte schob sich in Arigunds Zimmer. Sie trug dieselbe Kleidung wie immer und sah nicht aus, als hätte sie sich heute Nacht schon zur Ruhe gelegt. Ihre Augen flogen durchs Zimmer, als wollte sie sich versichern, dass wirklich niemand außer ihnen hier war. Auf ihren Stock gestützt, humpelte sie dicht an die junge Frau heran.
»Ist was passiert, Resl?«, erkundigte sich Arigund und dachte im selben Moment, wie dumm die Frage war. Warum sonst schlich sich die Alte mitten in der Nacht in die Kemenate ihrer Herrin?
»Mir hams gefunden, d’ Luise«, stellte die Alte fest, doch ihre Stimme bebte.
»Lebt sie noch?«, fragte Arigund vorsichtig.
Resl nickte bedrückt.
»Das ist gut, oder?«, hakte Arigund nach.
»Herrin, bitt schö zieht Euch an. I helf.«
In Arigund keimte Widerstand auf. Was dachte sich die Kräuterfrau bloß?
»I helf«, wiederholte die Alte in einem Tonfall, der keinen Protest duldete.
»Das kann Annelies machen. Geh sie wecken!«
»Des dauert zu lang. Bitt Euch recht schön. I helf. I kann des.«
Mit flinken Fingern griff die alte Magd nach den bereitgelegten Kleidungsstücken. »Hast du meinem Gatten schon Bescheid gegeben?«, wollte Arigund wissen. Resl blieb die Antwort schuldig. Sie befestigte die Schnüre der Cotte, half der jungen Frau in ein paar feste Lederschuhe und meinte im Hinausgehen nur: »Wir sollten leise sein.«
Die Fackeln auf dem fensterlosen Flur waren längst herabgebrannt. Es war stockfinster. Mit der Krücke in der Rechten gab Resl ein ordentliches Tempo vor. Die beiden Frauen verließen den Palas und erreichten die Burgmauer. Resl sah sich kurz um, ob Arigund noch hinter ihr war, lauschte kurz und hielt dann zielstrebig auf eine kleine Pforte zu, von der Arigund stets geglaubt hatte, sie hätte ihren Dienst getan, da sie heruntergekommen und verwittert aussah. Tatsächlich aber ließ sich das Türchen leicht öffnen. Dahinter führte ein schmaler Trampelpfad den Burgberg hinab. Der Mond neigte sich zwar schon langsam wieder dem Firmament zu, warf aber noch ausreichend Licht, um den Weg zu sehen. Resl mit ihrem lahmen Bein hatte auf dem steinigen Boden Probleme. Mehrmals musste Arigund sie vor Stürzen bewahren.
»Wohin gehen wir?«, erkundigte sich Arigund, diesmal mit mehr Nachdruck. »Nun rede schon!«
»Später, Herrin. Es ist net weit.«
Sie ließen das Stück gerodeten Waldes, das die Burg umgab, hinter sich und erreichten die Rückseite des Berges, auf dem der Palas stand. Hier lenkte kein Pfad mehr die Schritte. Rissige Felsen ragten neben ihnen auf. Der Wald schob sich dichter heran und schloss sie schließlich ein. Unvermittelt trat ein groß gewachsener Ritter hinter dem Stamm einer mächtigen Buche hervor. Er trug sein Kettenhemd und hielt das Schwert drohend in der Hand. Arigund fuhr zurück.
»Haltet ein, Herr Ritter!«, rief die junge Frau erschrocken und hob abwehrend die Hände. »Vergreift Euch nicht an wehrlosen Frauen!«
»Nun, ganz so wehrlos erscheint mir Eure Begleitung nicht, edle Dame.«
Den Klang dieser Stimme hätte Arigund aus tausenden erkannt. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus, doch dann begann es so wild zu pochen, als müsste es ihr in der Brust zerspringen. Sie sah sich nach der Kräuterfrau um: »Resl, warum hast du nichts gesagt …?«
»Verzeiht, Herrin«, antwortete nun eine Frauenstimme. »Es war mein Vorschlag. Ich wusste nicht, ob Ihr trotzdem kommen würdet.«
»Annelies, was machst du da?«
»Nun, Eurer Zofe, edle Dame, verdanken wir es, dass aus einem großen Unglück nicht ein noch größeres erwächst. Aber lasst sie zunächst berichten, bevor wir uns mit eigenen Augen überzeugen wollen.«
*
Als Annelies die Augen aufschlug, hatte sie in ihrer Panik zunächst um Hilfe rufen wollen, bis sie die freundlich dreinblickenden Augen des Ritters erkannte.
»Geht es wieder, Jungfer?«, erkundigte sich der junge Mann besorgt.
»Jetzt, da ich sehe, dass Ihr es seid, Herr, wird mir warm ums Herz, doch mit der Jungfer ist’s vorbei.«
»Naja, das dacht ich mir fast, als ich dich so im Arm hielt, Annelies. Dann wird unser Matthias also Vater?«
»Genau genommen wird es Ihr Bruder, Herr Reimar.«
Der junge Ritter kratzte sich kurz am Kinn. »Nun, wie gut, dass ich dazu nicht beitragen musste. Ich fürchte, das Gesicht deines Gatten würde sich sonst so rot färben wie
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