Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
ihn nicht mehr in ihrem Bauch halten, weil du auf sie eingetreten hast, wie es nur ein barbarischer Heide tut. Dein Stammhalter ist gestorben, noch bevor Pater Anselm ihm das Sakrament der Taufe zukommen lassen konnte.«
Einen Augenblick lang funkelte Wirtho die Burgherrin an. Dann verhärteten sich seine Züge: »Ich habe keinen Sohn gezeugt. Was du da gesehen hast, war Reimars Bastard.«
Grob stieß er sie von sich. Doch sofort hing sie wieder an seinem Ärmel. »Du bist verrückt, wenn du das behauptest. Reimar war längst abgereist, als du das Lager mit Arigund geteilt hast.«
»Abgereist, von wegen. Die ganze Zeit war er in dieser Höhle und hat mit ihr Unzucht getrieben.«
»Das ist nicht wahr!«, widersprach Frau Kunigund, außer sich vor Zorn. »Reimar war in Augsburg, und dein Vater bewachte eure Hochzeitsnacht. Arigund war unberührt, als sie dir angetraut wurde, und sie hat dich auch danach nicht betrogen. Das alles denkst du dir nur aus.«
Erneut schüttelte der Ritter die alte Frau ab. »Nun ist es gut, Mutter. Mir scheint, du willst mich für dumm verkaufen. Ich weiß von eurer kleinen Intrige, mir mein rechtmäßiges Erbe streitig zu machen.«
Der Ritter griff in die Tasche seines Mantels und holte ein zerknittertes Pergament hervor. Das Siegel des Truchsess war gebrochen. »Hast du das etwa meinem Vater auf dem Sterbebett abgerungen, oder waren seine Sinne bereits im Jenseits und du führtest seine Hand zur Unterschrift?«
Kunigund starrte auf das Dokument. Wie kam es in Wirthos Besitz? Dann aber straffte sich ihr Rücken. »Es war der freie Wille deines Vaters.«
»Lügen, alles Lügen. Niemals hätte er seinen Besitz einem solchen Schwächling anvertraut wie meinem kleinen Bruder. Er wusste, dass Brennberg eine starke Hand braucht, es zu führen.«
Die Hand mit dem Pergament schwenkte zum Talglicht auf dem kleinen Tisch. Sofort fing das Schriftstück Feuer. Kunigund stieß einen Schrei aus und versuchte, die Schrift ihrem Sohn zu entreißen, doch da stand sie bereits in hellen Flammen. Ohnmächtig musste die Burgherrin mitansehen, wie sich das Testament in einen Ascheregen auflöste.
»Du verstehst sicher, dass ich niemanden auf der Burg dulden kann, dessen Treue ich mir nicht sicher bin. Morgen wird dich Waldemar gen Eichstätt begleiten. Bis dahin wirst du deine Kemenate nicht verlassen. Es steht dir frei, alle deine persönlichen Sachen mitzunehmen. Deine Mitgift geht selbstverständlich an das Kloster.«
Kreidebleich trat die alte Frau einen Schritt zurück und sah ihren Sohn an wie einen Fremden. »Du wagst es, mir Anordnungen geben zu wollen?«, fragte sie mit kalter Stimme.
»Und du wirst sie befolgen, wie es sich einem Weib geziemt.«
Er öffnete die Tür und winkte zwei Wachknechte herbei. »Sorgt dafür, dass sich meine Mutter bis zu ihrer Abreise morgen früh ausruht. Sie soll nicht gestört werden.«
Ohne mit der Wimper zu zucken, befolgten die Männer Wirthos Befehl und bauten sich im Gang auf. Frau Kunigund blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen.
Ihre alte Zofe brachte ihr am frühen Abend das Nachtmahl, ein einfaches Gericht aus Getreidebrei und weißem Brot.
»Vergelt’s Gott«, dankte ihr die Burgherrin. Dann zog sie ihre treue Dienerin zur Seite und steckte ihr einen versiegelten Umschlag zu. »Gib dies dem Eckmühler, damit er es an den Herrn DeCapella weiterleitet. Er wird es tun, denn er schuldet mir einen Gefallen. Aber bevor du gehst, sag mir noch, wie geht es der jungen Herrin? Weißt du etwas?«
Hektisch sah sich die Alte um. Der Wachknecht hatte sich über seine Mahlzeit hergemacht, die ihm die Zofe ebenfalls gebracht hatte. Dann flüsterte sie: »Ich werde tun, was Ihr wollt, aber ich kann nichts versprechen. Der Herr lässt mich beobachten. Frau Arigund ist schwach, doch sie lebt, und das wird auch so bleiben, wenn es dem Allmächtigen gefällt.«
Nach einem hastigen Knicks verschwand die Alte. Kunigund bekreuzigte sich und griff nach dem Rosenkranz auf ihrer Kommode. »Gott steh uns beiden bei, Arigund«, flüsterte sie.
*
Die Ungewissheit war das Schlimmste für Arigund. Allmählich begann ihr Körper sich zu erholen und ihr Geist sich zu erinnern, doch noch ergab alles kein Bild. Auch war niemand bereit, mit ihr zu sprechen. Arigund nahm an, dies sei eine Anweisung von Wirtho. Mehrfach fragte sie die Magd, die ihr ein einfaches Mahl brachte und bei der Verrichtung kleinerer Tätigkeiten half, nach Annelies. Die Frau senkte nur den Kopf und
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