Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
mich denn gar nicht mehr?«
Dann jedoch hellte sich seine Miene wieder etwas auf. »Der Pater berichtete mir, wie schlimm es dir ergangen ist. Kein Wunder, dass die Wunde schwärt, aber glaube mir, ich wähnte dich sicher, beschützt von unseren Vätern. Und verstehe doch, es hätte mir das Herz gebrochen, dich jeden Tag an der Seite meines Bruders zu sehen, unerreichbar. Dich nicht berühren, nicht küssen, nicht liebhaben dürfen. Es wäre die schlimmste aller Strafen gewesen. Für uns beide. Oder?«
Mit jedem Satz war er wieder näher auf sie zugekommen, und zuletzt hatte er sie umschlungen und seinen Kummer in ihr Haar hineingehaucht. Haltsuchend lehnte er nun an ihrer Schulter und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren.
Arigund schüttelte den Kopf. Nur einmal angenommen, Wirtho würde in dem Ehrenhändel fallen, was sollte aus Burg Brennberg werden, wenn Reimar das Zepter übernahm? Ein Truchsess dem Rang nach, aber im Wesen ein Kind. Arigund schloss die Augen und liebkoste den Ritter, dem sie einst ihr Herz geschenkt hatte. Ach, es schien keine Zukunft zu geben für das Geschlecht der Brennberger. Was aber würde aus der Burg werden und aus diesen Menschen, die Arigund lieb geworden waren und für die sie sich noch immer verantwortlich fühlte. Die Erinnerungen zogen an ihr vorüber, die Resl in ihrer rauen Herzensgüte und ihre vielen Kinder und Enkel, die Burgmannen mit ihren grimmigen Gesichtern und deren Söhne, die bereits tapfer mit Holzschwertern aufeinander einhieben, um im kindlichen Wettstreit den Stärksten auszumachen, die Hörigen, die mit schwieligen Händen die hölzernen Rechen und Dreschschlegel schulterten und darauf vertrauten, dass ihre Herrschaft sie des Winters vor Hunger und Wölfen bewahrte. Einmal mehr wünschte sie sich den alten Truchsess zurück, der scheinbar immer genau wusste, was zu tun war. Die Burg war auch Arigunds Zuhause geworden. Dann durchzuckte die Kaufmannstochter ein wagemutiger Gedanke. Hatte sie nicht auf ihrer Reise als Wandersängerin von einer Burg gehört, die von einer Witwe geführt wurde – ganz alleine, ohne Gatten? Arigund straffte den Rücken. Hatte Frau Kunigund nicht einst die »Krämerstochter« als Schwiegertochter akzeptiert, weil sie wirtschaften konnte? Hatte nicht sogar Annelies gemeint, Arigund wäre durchaus fähig, eine Burg bestens zu verwalten? Brauchte sie wirklich einen Mann für all das? Vorsichtig schob sie Reimar erneut von sich weg und fasste seine Hände.
»Was stellst du dir vor, was geschehen sollte, wenn Heinrich diesen Kampf gewinnt?«, fragte Arigund und fügte still für sich hinzu: »… und Wirtho ins Jenseits schickt.«
Reimars Augen begannen zu leuchten, genau wie damals, als sie Pläne schmiedend im Rosengarten gehockt hatten.
»Wir kehren nach Brennberg zurück und heiraten, so wie wir es schon damals hätten tun sollen.«
Er ist wirklich ein Träumer, fuhr es Arigund durch den Kopf. Ich muss ihn erst einmal vertrösten, bis ich mir über meine eigene Zukunft im Klaren bin.
»So einfach wird das nicht gehen«, sagte sie laut. »Es würde Gerede geben. Zudem müssten wir zumindest das Trauerjahr abwarten.«
»Ja, das stimmt. Und überhaupt würdest du ja die Burg erben. Du bist Wirthos Frau.«
»Wie wäre es, wenn wir vorerst alles so beließen, wie es ist.«
Als sie Reimars enttäuschte Miene sah, ergänzte sie rasch: »Später, wenn sich die Lage etwas beruhigt hat, können wir uns immer noch das Eheversprechen geben, wenn wir mögen.«
»Mir ist alles recht, Hauptsache, ich kann in deiner Nähe sein, Arigund«, meinte er sanft und küsste sie noch einmal auf die Wangen. Erneut begann er an ihrem Haar herumzunesteln – Arigund ließ es geschehen. Sie glaubte nun, die Burg halten zu können, und wie es mit Reimar weiterginge, würde die Zeit erweisen. Vielleicht fanden sie zueinander, vielleicht aber auch nicht. Im letzten Fall würde sie Burg Brennberg alleine verwalten oder sich irgendwann, falls der Fürstbischof es verlangte, einen Gatten nach ihrem Gusto nehmen. Kurz dachte sie darüber nach, ob Heinrich wohl dieser Mann sein könnte, verwarf den Gedanken jedoch rasch. Heinrich war nicht der Mensch, den es lange an einem Orte hielt. Er war ein Wandervogel, dem die Morgenröte am Horizont stets verlockender erschien als das wärmende Feuer vor sich. Dennoch fühlte sie, dass in ihrem Herzen stets eine ungestillte Sehnsucht nach dem Sänger bleiben würde.
*
Das Fest zu Ehren des jungen Wenzel dauerte eine
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