Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
verdenken kann man es dem Burgherren nicht: Mit Latein alleine hält man seine Feinde nicht in Schach.«
»Gebildete Menschen haben es nicht nötig, sich zu prügeln. Sie lösen Streit zivilisiert und schließen danach bindende Verträge. Aber dazu müsste man ja erst einmal schreiben können.« Arigund lächelte mit leisem Spott. Die Zofe ignorierte die Spitze und redete einfach weiter.
»Wie ich gehört habe, soll Reimar als Vasall an den Hof des bayrischen Herzogs. Schlimm ist bloß, dass der Bub keine rechte Lust zum Kämpfen hat. Reimar schwänzt regelmäßig die Übungsstunden und musiziert stattdessen mit seiner Mutter im Rosengarten. Der Waffenmeister ist schon ganz verzweifelt. Schließlich soll Reimar nächstes Jahr endlich seine Schwertleite feiern. Er ist immerhin schon siebzehn. Da wird’s langsam Zeit.«
»Na, diesen Schaukampf wird er schon überstehen, und wenn er erst einmal Ritter ist, kann er ja Höfling werden. In direkter Nähe des Fürstbischofs sieht man einen klugen Kopf lieber als ein blankes Schwert, meint jedenfalls Abt David.«
»Dasselbe sagt seine Mutter wohl auch. Ansonsten gilt Reimar als der Gefälligere der beiden jungen Truchsesse.«
Arigund biss sich auf die Unterlippe. Schwer vorzustellen, dass Wirtho einen Schöngeist als Bruder hatte, aber Pater Anselm behauptete das auch. Langsam wurde Arigund neugierig auf diesen Jungen.
»Hat der alte Brennberg denn sonst keine männlichen Nachkommen?«, fragte Arigund weiter.
»Oh doch, mehr als genug, nur leider nicht von seiner Gattin.« Annelies zwinkerte verschwörerisch. Arigunds Wangen röteten sich leicht, aber die Neugierde war nicht zu bezwingen. »Von einem Kebweib?«
»Es ist wohl eher so, dass der Truchsess höchstselbst dafür sorgt, dass ihm die Leibeigenen nicht ausgehen. Keine Magd, der er nicht unter den Rock geschaut hat, und auch so manche der Edeldamen ist nach einem Besuch des Burgherren zur alten Resl, der Kräuterfrau, geschlichen.«
»Das wird der Burgherrin nicht gefallen.«
Annelies rollte mit den Augen. Zuweilen war ihre Herrin wirklich ein bisschen einfältig. »Nun ja, er wird sie nicht um Erlaubnis fragen, und sie trägt es wohl gelassen.«
Die beiden Mädchen kicherten. Arigund sah kurz zum mit Pergament bezogenen Fenster. Hell schimmerte die Sonne hindurch.
»Wie die Zeit vergeht«, stellte sie fest. »Ich muss zur Burgherrin, Altartücher besticken und Geschenke abgeben.«
»Ich habe die Truhe bereits herüberbringen lassen. Hoffentlich ist der Inhalt noch vollzählig. Die Leute stehlen hier wie die Raben.«
»Wem sagst du das«, seufzte Arigund und dachte an die Maultiere ihres Vaters.
Geschwind zog sie sich ein nobleres Gewand über. Schließlich wollte sie in ihrem neuen Haushalt Eindruck machen. Annelies hatte die hübschen Schuhe aus Ziegenleder geputzt. Man sah ihnen den intimen Kontakt mit dem Kuhmist nicht mehr an. Die Kaufmannstochter schlüpfte hinein, während ihre Zofe Schappel und Haarnetz adrett anordnete und den Schleier aus Brüsseler Spitze behutsam feststeckte.
»Nun aber los! Ich bin schon richtig gespannt auf die anderen Mädchen.«
*
Annelies sah ihrer Herrin kurz nach, dann huschte sie in die Dienstbotenkammer. Unentschlossen stand sie vor ihren bescheidenen Reichtümern. Endlich! Endlich ergab sich eine Gelegenheit, ihren Rotbart zu treffen. Zwar hatte Annelies bemerkt, wie Matthias’ Wangen geglüht und seine Augen gestrahlt hatten, als er sie in der Reisegesellschaft erkannte, aber sie hatten bislang kein vertrauliches Wort wechseln können. Während der Fahrt nach Brennberg war Arigund krank gewesen, und danach hatte Matthias im Stall alle Hände voll zu tun gehabt. Jetzt aber, nachdem die hohen Herren zur Jagd ausgeritten waren – so hatte der Knecht es vom Lukki, dem jüngsten Stallburschen ausrichten lassen –, wartete er im Schafstall auf Annelies.
Zunächst war sie zögerlich. Sie wollte sich keinesfalls am helllichten Tag mit einem Mann einlassen. Das wäre ja ein schöner Einstieg auf der Burg, wenn sie jemand dabei ertappte. Andererseits war es gewiss weniger unzüchtig, als sich nachts aus der Kammer zu schleichen. Die Zofe überlegte hin und her: Sie könnte ja – rein zufällig natürlich – einfach mal am Schafstall vorbeigehen und, falls Matthias dort sein sollte, ein wenig mit ihm reden. Ohne länger zu zaudern, griff sie nach den hellblauen Seidenbändern, die sie vorhin oben auf ihre Sachen gelegt hatte – ein Weihnachtsgeschenk von Arigund.
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