Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
augenblicklich und verkrochen sich hinter ihren Garnspulen. Das dritte und älteste Mädchen saß an einem Webstuhl. Arigund musste sich zügeln, es nicht ungebührlich anzustarren. Berta von Eckmühl war eine Schönheit. Ihre Augen waren vom Blau der Glockenblumen, ihre Haare flossen wie ein goldener Wasserfall über ihre Schultern, und ihre Haut wirkte wie Milch und Honig. In feinen blauen Linien zeichneten sich an ihren Schläfen die Adern ab. Sie hatte ihre Brauen leicht mit Kohle nachgezogen und das Rot der Lippen mit Kirschsaft unterstrichen. In ihrem Schleier funkelten winzige Steine, die das Sonnenlicht einfingen und an den grauen Granitstein der Wände warfen. Im Halbdunkel des Frauenzimmers wirkte Berta von Eckmühl wie eine schimmernde Perle im dunklen Flussbett der Donau.
Arigund fühlte einen Stich in ihrer Brust. Sie konnte nicht anders: Neben Berta fühlte sie sich klein und hässlich mit ihrer viel zu braunen Haut, ihren winzigen Brüsten und ihrer knabenhaften Figur. Im selben Augenblick schalt sie sich eine Närrin. Sich mit einer jungen Frau wie Berta zu vergleichen war sinnlos. Da stand man immer im Schatten. Berta ihrerseits ließ einen wohlwollenden Blick über Arigunds Kleid schweifen, das vorne – nach neuester Mode – mit zwei Knöpfen aus Hirschhorn verziert war. »Ich sehe, du verstehst etwas von edlen Stoffen«, richtete Berta das Wort an sie, und selbst ihre Stimme hörte sich samtig an. Sie war tief für eine junge Frau und klang geheimnisvoll. In ihre Aussprache schlich sich nicht ein Hauch des hier allgegenwärtigen, leicht nuscheligen Dialekts. Berta machte eine einladende Handbewegung zu Arigund und fragte: »Magst du einen Blick auf diesen bescheidenen Versuch werfen, ein Leinentuch für meine Aussteuer zu entwerfen?«
Die Kaufmannstochter trat näher an den Webstuhl heran und staunte nicht schlecht. Das war ohne Zweifel mehr als nur ein Versuch. Das Stoffstück war gleichmäßig gewebt und vom Weiß des Mondlichts. In den Rand des Tuchs hatte Berta eine kunstvolle Bordüre mit verschlungenem Muster eingewebt. Solches Tuch kostete auf dem Markt ein kleines Vermögen. Nie hätte Arigund vermutet, dass adelige Hände in der Lage wären, eine solche Qualität auf dem Webstuhl zu erzeugen.
»Eine wunderbare Arbeit«, lobte Arigund und wurde durch ein strahlendes Lächeln von Berta belohnt.
»Das Fräulein von Eckmühl ist sehr geschickt im Umgang mit Kettfaden und Schiffchen«, bemerkte Maria zu Reichenegg. Arigund kam es vor, als würde sie hinter den wohlmeinenden Worten einen feindseligen Unterton vernehmen. Berta zuckte unmerklich zusammen, wandte sich dann aber wieder Arigund zu: »Kannst du weben, Arigund von Regensburg?«
Berta zog hoffnungsfroh die Augenbrauen hoch. Arigund schüttelte bedauernd den Kopf.
»Tut mir leid, aber wenn es der Herrin Kunigund genehm ist, würde ich gerne beim Besticken des Altartuchs behilflich sein.«
Frau von Brennberg nickte ihr wohlwollend zu. »Nimm Platz, Kind. Du kannst dieses Tuch besäumen.«
Arigund kam der Aufforderung nach und griff nach dem Stoff. Eine Seite war bereits mit feinen Stichen gesäumt worden. Arigunds Mut sank. Sie konnte mit Griffel und Schiefertafel weit besser umgehen als mit Nadel und Faden. Sie hegte Zweifel, ob es ihr gelingen würde, die Stiche so gleichmäßig zu führen wie ihre Vorgängerin. Angestrengt fädelte sie den Faden in das Nadelöhr und begann mit der Arbeit. Eine Weile sagte keiner ein Wort. Von draußen klangen gedämpft die Stimmen der Männer herein. Ein kleiner gelber Vogel setzte sich frech auf den Fenstersims und zwitscherte lauthals los. Zwischen den Strophen schüttelte der kleine Sänger sein gelb-schwarzes Gefieder und sah sich neugierig im Zimmer um, als erwartete er eine Belohnung. Frau Kunigund blickte zu dem kleinen Sommerboten hinüber und begann ein Lied anzustimmen. Schon nach der ersten Strophe fielen die anderen Frauen in den Gesang ein. Arigund kannte es nicht. Es ging über eine Vogelhochzeit, zu der allerlei gefiederte Gäste eingeladen wurden. Die Melodie jedoch war so eingängig, dass sie es im Nu mitsummen konnte.
*
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als die Burgherrin endlich das Stickzeug zur Seite legte und sich erhob. Die anderen Frauen taten es ihr nach und streckten die Rücken.
»Wir wollen einen solch wunderbaren Sonnentag nicht gänzlich im Dunkeln der Stube verbringen«, meinte die Burgherrin. Ihr Blick wanderte von einem zum anderen. »Mein Spielmann
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