Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
murmelte, schon halb in der Tür, Annelies möge bitte aufpassen, damit der Stoff nicht schmutzig würde. Dann eilte die Patriziertochter in den Flur hinaus, um ihre neue Freundin im Hof zu treffen.
»Wohin so eiligen Schrittes, mein Kind?«, hielt sie die Stimme von Bruder Anselm auf. Die Kaufmannstochter bremste und sah sich um. Der Mönch hatte die Kapuze seiner Kutte tief ins Gesicht gezogen. Seine Hände barg er unter den weiten Ärmeln.
»Gott zum Gruße, Pater.« Das Mädchen senkte den Blick und knickste artig. »Die Hörner kündigen an, dass die Männer von der Jagd kommen, und ich wollte sie gemeinsam mit den anderen begrüßen.«
»Männer sind es also, denen du entgegeneilst, Arigund?« Die Missbilligung in Pater Anselms Stimme war nicht zu überhören. Arigund wurde verlegen.
»Nun, ich wollte lediglich sehen, ob das Jagdglück ihnen hold war.«
»Auf das Glück sollte man sich besser nicht verlassen, Kind. Besser ist es, sich Gottes leitenden Händen anzuvertrauen. Er sorgt für uns, wenn wir ihm nur rechtschaffen dienen.«
»Gewiss, Pater Anselm, gewiss, aber ohne Speere wird es wohl trotzdem nicht gehen. Schließlich springen die Wildschweine dem Koch nicht freiwillig in den Topf.«
»Wenn dies Gottes Wille wäre, würden sie es tun, denn so war es einst im Paradies, aus dem die Menschen durch Evas sündiges Handeln vertrieben wurden.«
Arigund verkniff sich die Bemerkung, dass Adam freiwillig vom Apfel gebissen hatte. Schließlich war Pater Anselm heute Morgen so freundlich zu ihr gewesen, und überhaupt war er im Augenblick der Einzige, der sie eventuell vor diesen langweiligen Handarbeitsnachmittagen retten konnte. Also schwieg sie lieber und wartete ab, was der Priester von ihr wollte.
»Wie ich hörte, hat Frau Kunigund dir für die nächsten Stunden frei gegeben«, kam Pater Anselm auch gleich zur Sache. »Was hältst du davon, mir deine Lateinkenntnisse unter Beweis zu stellen. Du sagtest ja, Pater David von Augsburg hätte dir beigebracht, die Bibel zu lesen?«
Arigund fluchte innerlich: Kleine Sünden bestrafte Gott offensichtlich rasch. Das hatte sie nun davon, Annelies ihre Arbeit aufgehalst zu haben. Geschah ihr recht.
»Gern, Pater«, meinte Arigund geknickt und erntete ein wohlwollendes Kopfnicken. Auf dem Hof trommelten die Hufeisen der Pferde, und aufgeregtes Rufen drang durch die dicken Mauern.
*
Die Sonne hatte längst an Kraft verloren, als Arigund endlich aus Pater Anselms Studierzimmer herauskam. Der Geistliche hatte sie genauestens geprüft und nicht nur die Bibel, sondern auch Philosophen wie Cicero und Seneca lesen lassen. Die meisten Aufgaben hatte Arigund sehr gut gemeistert, und wenn sie doch einmal Schwierigkeiten hatte, manövrierte der Priester sie mit der Geschicklichkeit eines Donauschiffers durch die Klippen und Strudel der Texte hindurch. Er war ein sehr geduldiger Lehrer, der mit Lob nicht geizte. Alles in allem hatte es Spaß gemacht, mit ihm zu lernen. Nun aber rauchte Arigund der Kopf, und sie musste unbedingt noch einmal frische Luft schnappen, bevor man zum Nachtmahl rief.
Arigund beschloss, zum Rosengarten zu gehen, auch wenn dort gewiss keine der Damen mehr sein würde, um dem Spielmann zu lauschen. Das Mädchen staunte nicht schlecht, als sie dort Berta tändelnd in Gesellschaft eines Ritters antraf. Die stämmige Gestalt mit den breiten Schultern und dem Nacken eines Stieres kam ihr nur allzu bekannt vor. Zudem war seine laute Stimme unüberhörbar, und wenn Arigund nicht alles täuschte, prahlte er gerade mit einem Eber, den er fast erlegt hätte. In jedem Fall wäre er, Wirtho, dem Tier bereits Auge in Auge gegenübergestanden, welches sofort die Flucht ergriffen habe, als es seiner ansichtig wurde. Das Fräulein Berta nickte ehrfürchtig und winkte die Kaufmannstochter heran. Wirtho von Brennberg drehte sich um und entdeckte ebenfalls, dass sie nicht allein waren. Arigund knickste höflich.
»Mein Ritter, kennt Ihr schon Arigund von Regensburg?«, fragte sie mit strahlendem Lächeln.
Wirtho schien wenig erbaut von Arigunds Gesellschaft, bemühte sich aber um ein freundliches Nicken. »Ich hatte die Ehre und das Vergnügen, das junge Fräulein hierher geleiten zu dürfen.«
Arigund stutzte. Von Ehre oder gar Vergnügen hatte sie auf der Reise nicht viel bemerkt. Der zukünftige Burgherr hatte die beiden Mädchen doch wohl eher als Klotz am Bein empfunden.
»Dann warst du ja in den besten Händen, Arigund«, meinte Berta, wobei sie Wirtho
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