Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
würde dich wirklich gern wiedersehen, heute Nacht vielleicht?«
»Matthias!«, scholl Wirthos Stimme ungeduldig aus dem Stall.
»Nachts ist es schlecht …« Annelies wich seinen Augen aus. »Die Herrin ruft oft nach mir. Sie wird ungehalten, wenn ich nicht gleich komme.«
Enttäuschung machte sich auf Matthias’ Gesicht breit, und erneut drang die Stimme seines Herren über den Hof. »Ein andermal vielleicht?«, fragte er hoffnungsvoll.
Das Mädchen nickte und wollte sich losmachen, aber er ließ es nicht los. »Wann?«, beharrte er.
»Vor dem Nachtmahl, wenn die Herrin Arigund von Pater Anselm unterrichtet wird.«
»Heute?«
Annelies nickte.
»Im Schafstall?«
»Nein, besser auf der Bergwiese, wo die jungen Pferde grasen.«
Matthias wirkte noch enttäuschter, dort war man nicht wirklich ungestört. Andererseits gab es überall verschwiegene Plätze und er konnte Vorsorge treffen.
Wirthos mächtige Gestalt erschien auf dem Hof. Sofort entdeckte er seinen Knecht bei dem Mädchen.
»Also gut«, gab Matthias hastig nach und drückte Annelies das Band in die Hand. »Morgen am Vormittag. Ich werde schon einen Grund finden, weshalb ich zu den Jährlingen muss.«
Mit raschen Sprüngen war der Rotschopf bei seinem Herrn. Der zog ihm zum Dank die Reitgerte über den Rücken. Annelies zuckte zusammen, als hätte der Ritter sie selbst getroffen. Eine Pfütze hatte sich unter Annelies gebildet. Sie blickte an sich herab, dann zurück zum Pferdestall. »Eines Tages …«, dachte sie.
*
Arigund war erbost, als sie von dem Zusammentreffen ihrer Zofe mit Wirtho erfuhr, wobei Annelies allerdings einige sie und Matthias betreffende Details verschwieg.
»Was bildet dieser Kerl sich eigentlich ein!«, wütete sie. »Jetzt reicht es. Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen. Erst stiehlt er unsere Maultiere, und dann vergreift er sich an dir. Ich werde augenblicklich mit seiner Mutter sprechen. Wirtho muss sich entschuldigen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist.«
Doch Arigund hörte ihr gar nicht mehr zu, sondern stürmte aus dem Zimmer. Sie wusste die Burgherrin um diese Zeit im Garten, begleitet von ihren Hofdamen. Arigund verbeugte sich hastig. »Herrin«, begann die Kaufmannstochter.
Kunigund von Brennberg hatte gerade die Saatreihen inspiziert. Sie waren schnurgerade, ganz so wie es sein sollte. Die Adelsfrau erhob sich und musterte Arigund. »Was gibt es, Kind?«, fragte sie.
Mit einem Mal fehlten dem Mädchen die Worte. Sie war so erbost über Wirtho, dass sich ihr regelrecht die Kehle zuschnürte. Frau Kunigund wartete und hob leicht die Brauen.
»Nun, Arigund?«
»Es ist … wegen Wirtho.«
Frau Kunigunds Brauen zogen sich noch ein Stück weiter zusammen, und ihre Hofdame Marie machte ein Gesicht, als hätte man ihr Essig eingeflößt.
»Hast du eine Beschwerde gegen den jungen Herrn vorzubringen?«, hakte die Burgherrin nach. Ihr Ton blieb gleichmütig. Arigund dagegen hatte das Gefühl, jeden Augenblick platzen zu müssen.
»Er hat meiner Zofe Wasser über den Kopf gegossen.«
Einige Hofdamen glucksten hinter vorgehaltener Hand.
»Gab es einen Grund dafür?«
»Er hat behauptet, Annelies würde in den Ställen herumspionieren.«
Frau Kunigund strich sich mit der Hand über das Kinn. »Nun, in der Tat wundere ich mich, was eine Zofe bei den Pferden zu schaffen hat. Hast du ihr denn den Auftrag erteilt, dorthin zu gehen?«
Arigund schluckte. Das Gespräch lief anders, als sie erhofft hatte. Sie schüttelte den Kopf.
»In diesem Fall, muss ich leider sagen, hat mein Herr Sohn mit großer Milde gehandelt: Wäre es meine Magd gewesen, hätte sie die Rute zu spüren bekommen – er hat ihr nur den Kopf gewaschen.«
Arigund öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch die Burgherrin erstickte den Einwand mit einem strengen Blick.
»Diese Zofe soll nicht die Hüften schwenkend im Stall herumspazieren und den Stallburschen den Kopf verdrehen. Wir sind hier nicht auf dem Jahrmarkt. Der Umgang mit den Pferden ist gefährlich. Die Männer müssen Augen und Gedanken bei der Arbeit haben und nicht irgendwelchen Weiberröcken hinterhergaffen. Sieh zu, dass so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommt!«
Die Burgherrin wandte sich um und ließ das Mädchen einfach stehen.
»Du kannst sie ja weiterhin deine Näharbeiten machen lassen«, zischte ihr Maria zu Reichenegg im Vorübergehen zu.
Arigund stand mit hängenden Schultern da. Sie fühlte sich blamiert bis auf die Knochen. Kaum
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