Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
entfernt, als Wirtho an ihm vorbeisprengte. Er stellte seinen Braunen quer vor das Gespann und brüllte: »Schluss jetzt mit dem Gehampel! Bringt den Biestern endlich Gehorsam bei!«
Mit diesen Worten hob er seine Reitgerte und ließ sie auf die Stirn der beiden Langohren niedersausen. Einen Augenblick verharrten beide Tiere wie erstarrt. Dann stieg das linke Maultier und traf den Knecht mit dem Vorderbein auf der Brust. Das andere machte einen erschrockenen Satz zur Seite, keilte mit den Hinterbeinen aus und warf den Knecht, der es zu halten versuchte, zu Boden. Im nächsten Moment setzte sich das Gespann in Bewegung. Wirthos Brauner wurde heftig zur Seite gestoßen. Das Pferd strauchelte und stürzte, sein Reiter flog in weitem Bogen aus dem Sattel. Die Mägde klammerten sich an dem Heuwagen fest, der nun in führerloser Fahrt den Berghang hinunterjagte. Lange würden sich die Frauen nicht halten können. Sie würden stürzen oder der Wagen kippen. Matthias handelte, ohne nachzudenken. Er griff nach den Zügeln von Wirthos Braunem, schwang sich in den Sattel und spornte das Tier an. In wildem Galopp ging es hinter den Maultieren her, die durch das Geschrei auf dem Wagen noch panischer wurden. Der Stallknecht klammerte sich an der Mähne fest und versuchte irgendwie Halt in dem rutschigen Sattel zu finden. Der Braune schien nun ebenfalls einen eigenen Willen zu bekommen. Der Weg führte nach Hause, weg von den unerträglichen Bremsen und den schreienden Leuten. Das Pferd schlug unwirsch mit dem Kopf, als sein Reiter an der Kandare zog, wurde jedoch kein bisschen langsamer. Unten machte der Weg eine Biegung. Spätestens da würde es für den Heuwagen eng werden. Siedend heiß fiel Matthias ein, dass sich an dieser Stelle auch ungefähr das Ochsengespann befinden musste. Der Weg war viel zu schmal für zwei Gespanne.
Lukki!, fuhr es ihm durch den Kopf. Matthias brüllte eine Warnung und trieb sein Pferd zu noch größerer Schnelligkeit an. Nur noch wenige Galoppsprünge trennten ihn von dem Leiterwagen. Der schlingerte so heftig, dass an ein Vorbeikommen nicht zu denken war. Ein guter Teil des Heus bedeckte zudem die Fahrspur und machte sie gefährlich glatt. Die Frauen kreischten nicht mehr, sondern klammerten sich lediglich fest. Auch sie sahen die Kurve kommen. Der Wagen legte sich gefährlich schräg. Die eisenbeschlagenen Reifen sprühten Funken auf dem felsigen Untergrund. Und wie befürchtet, tauchte nun Lukkis Ochsengespann vor ihnen auf. Die Maultiere schienen kurz zu stutzen und ihren Lauf ein wenig zu verlangsamen. Das war seine Chance. »Lauf!«, brüllte Matthias Wirthos Braunem zu. Das Pferd machte sich lang, vier Galoppsprünge und es war an der Seite des Gespanns. Eine Leine hing zerrissen vom Gebissring herab. Matthias beugte sich tief herunter. Mit der einen Hand hielt er sich an der Mähne seines Braunen fest, mit der anderen fischte er nach dem Gurt. Ein Versuch schlug fehl. Aus dem Augenwinkel sah Matthias, dass Lukki sein Gespann zur Seite zu zerren versuchte, doch die erschrockenen Ochsen beschlossen, die Flucht zu ergreifen, und setzten sich in Trab. Hilflos wurde das Kind mitgezerrt. Erneut fixierte der Rotschopf die Leine. Es musste einfach glücken. Sie streifte seine Finger, dann glitt sie in seine Hand. Matthias schloss die Faust, richtete sich auf und zog an der Kandare. Der Braune hatte offensichtlich genug vom Rennen und verringerte die Geschwindigkeit. Die Maultiere sahen die Sache anders. Unwillig streckten sie die Hälse nach oben und legten die Ohren an. Doch Matthias behielt die Leine eisern in seinen schwieligen Händen. Endlich gaben die Tiere nach und fielen in Trab. Lukki hatte die Ochsen mittlerweile loslassen können. Er drückte sich an die Wand und hoffte, so aus dem Weg zu sein, doch jetzt hielten die Maultiere genau auf ihn zu. Im nächsten Moment würde der Junge unter ihren Hufen zerquetscht werden. Matthias riss noch einmal mit aller Kraft an den Leinen. Die Halbesel sperrten die Mäuler auf, parierten dann aber endlich durch. Lukki hatte die Hände nach vorne gestreckt. Sein Gesicht war nicht weniger bleich als das der Mägde, die nichts Eiligeres zu tun hatten, als vom Wagen zu springen. Sophie, die ältere, rannte schnell nach vorne. Sie hielt sich das Handgelenk und war totenblass.
»Ich danke dir«, hauchte sie und wollte dem Knecht die Leine des Maultieres aus der Hand nehmen, doch seine Hand schloss sich noch immer felsenfest um den Lederriemen. Blut quoll
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