Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Besitz ergriffen!«
Andere taten es ihr nach. Die Burgherrin sah von ihrem Sohn zum Pöbel, der den Kreis um den Kampfplatz mehr und mehr schloss. Wirtho aber dachte gar nicht daran, von dem Rotbart abzulassen und die Leute zu beruhigen. Unablässig trat er auf den am Boden liegenden Mann ein, obwohl dieser bereits bewusstlos zu sein schien. Kunigund musste jetzt eine Entscheidung treffen. Entschlossen schob sie sich zwischen den Knecht und ihren Sohn. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als wollte Wirtho seine Hand auch gegen seine Mutter erheben. Doch dann brüllte er nur: »Geh mir aus dem Weg! Damit ich ihn totschlagen kann.«
»Vergeh dich nicht an deines Vaters Eigentum, Sohn!«
Wirtho zuckte zurück. Schon wieder demütigte ihn seine Mutter vor dem Gesinde. Wen wunderte es da, dass die einfachen Leute keinen Respekt vor ihm hatten. Doch diesmal würde er es ihr nicht durchgehen lassen. »Steht es etwa einem Weib an, sich in die Angelegenheiten der Männer einzumischen?«
Nun war es seine Mutter, welche die Geduld verlor und die Stimme erhob. »Noch immer bin ich des Truchsess Eheweib, Wirtho von Brennberg, und solange dieser nicht auf der Burg weilt oder es anders bestimmt, werde ich diese in seinem Sinn verwalten. Egal in welcher Angelegenheit. Und nun sag uns, welches Vergehens sich dieser Mann schuldig gemacht hat, dass du ihm nach dem Leben trachtest«, forderte Kunigund ihn auf.
Wirthos Gesicht hatte die Farbe überreifer Erdbeeren angenommen. Er spuckte auf den Knecht und brüllte: »Nicht nur, dass der Bursche heimlich sämtliche Mägde bespringt, jetzt hat er auch noch mein Pferd gestohlen.«
»Nun, ich sehe aber den Gaul dort an der Raufe angebunden, wie also kann er gestohlen sein?«, stellte seine Mutter fest.
»Dass er jetzt hier steht, ist einerlei. Der Tölpel hat seinen schmutzigen Arsch in meinem Sattel auf meinem Pferd gehabt und ist auf und davon mit ihm. Das bezahlt er mit dem Leben.«
»Doch nur, um uns zu retten!«, rief eine junge Frau, die sich das Handgelenk hielt. »Von Euch hohen Herren hat ja keiner einen Finger gerührt! Matthias ist ein Held.«
»Jawohl!«, kam es aus der Menge, begleitet von vielköpfigem Nicken.
»Von wegen Held, ein Pferdedieb ist er, Abschaum!«
Wirtho spuckte erneut nach dem Rotbart. Empört schwenkten die Männer ihre Forken und riefen wild durcheinander. Nun wurde auch die Torwache aufmerksam. Kunigund bemerkte erleichtert, dass der Oberst seine Leute sammelte und auf den Hof herunterschickte. Ein wenig Zeit musste sie noch gewinnen. Auf eine Auseinandersetzung mit bewaffneten Soldaten würde es der Pöbel nicht ankommen lassen. Sie hob die Hände, um sich Gehör zu verschaffen.
»Das Richtamt obliegt dem Truchsess. Er wird den Sachverhalt prüfen und sein Urteil sprechen, sobald er von der Heilsburg zurückgekehrt ist. Bis dahin soll der Bursche eingesperrt werden.«
Sie winkte ihren Landsknechten, die mit gezückten Schwertern die Menge auseinandertrieben. Es kam zwar zu Protest und Beschimpfungen, aber niemand wagte, sich den Bewaffneten zu widersetzen. Zudem hatte sich die Sonne mittlerweile verdunkelt. Dicke Tropfen klatschen den Menschen in den Nacken. Ein gewaltiger Donner grollte über ihren Köpfen. Die Wachleute fassten den bewusstlosen Matthias unter den Armen und schleppten ihn fort. Die Frondienstler trollen sich Richtung Küche. Ein paar der älteren Knechte, von denen die meisten mit dem Rotbart verwandt waren, starrten den Wachleuten und ihrem Gefangenen mit finsterer Miene nach, doch dann suchten auch sie unter den Dächern der Burg Schutz.
*
Arigund prüfte gerade mit dem Koch eine frische Ladung Mehl aus der Mühle, als Annelies hereingestürmt kam. So aufgelöst hatte die Kaufmannstochter ihre Zofe noch nie erlebt. Die Haare hingen ihr wirr über die Schultern, und die Schürze saß schief auf den Hüften. Wild gestikulierend rannte sie auf Arigund zu, fiel vor ihr auf die Knie und tastete nach der Hand ihrer Herrin. Die Tränen rannen ihr übers Gesicht und vermischten sich mit Staub und Ruß. Verblüfft sah Arigund ihre Zofe an. Was war geschehen? So aufgelöst hatte sie Annelies noch nie erlebt.
Mit einem Wink schickte die Kaufmannstochter den Koch weg. Dann versuchte sie Annelies aufzuhelfen. Es war ihr unangenehm, dass sich ihre Freundin ihr gegenüber so unterwürfig benahm. Doch Annelies war scheinbar gar nicht in der Verfassung aufzustehen. Arigund warf einen prüfenden Blick zur Tür, dann kauerte sie sich
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