Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Mädchen: »Reimar? Hilft der nicht bei den Schafen?«
Arigund hatte sich anfangs gewundert, dass die Burgherrin sich so sehr um das Wohl ihrer vierbeinigen Wolllieferanten bekümmerte und deren Versorgung allerhöchstens an ihren Zweitgeborenen abtrat. Mittlerweile wusste sie, dass die Schafe und deren Wolle zu den wichtigsten Einnahmequellen der Burg gehörten. Insofern war es nicht verwunderlich, dass die wertvollsten Tiere stets in der Nähe geweidet und nachts in den Ställen verwahrt wurden.
Die Burgherrin schaute Arigund erwartungsvoll an, doch die schüttelte den Kopf. »Ich war dort. Die Knechte haben ihn nicht gesehen.«
Ein ängstliches Flackern huschte über das Gesicht der Frau Kunigund. »Sei so gut, Kind, und sage mir Bescheid, sobald du ihn gefunden hast.«
Arigund verabschiedete sich mit einem raschen Knicks und schlängelte sich zur Küche durch. Hastig gab sie die Anweisung, mehr Brot in die Halle zu bringen, und erkundigte sich erneut nach Reimar. Vergeblich. In einer Ecke, das Schälmesser in der Hand und mit verquollenen Augen, hockte Annelies. Eine alte Frau hatte tröstend die Hand auf ihre Schulter gelegt. Sehnsüchtig blickte die Kaufmannstochter hinüber. Annelies hatte scheinbar Menschen gefunden, die es gut mit ihr meinten. Einen Augenblick spürte Arigund den unbändigen Drang, sich der kleinen Gruppe anzuschließen. Doch ihr Platz war an einer anderen Stelle. Wenn es ihr nur gelänge, Reimar aufzutreiben, dann könnten sie vielleicht gemeinsam einen Weg finden, Matthias zu helfen. Ob sie doch noch einmal zum Schafstall gehen sollte? Ansonsten blieb nur die Waffenkammer, in die die Ritter ausgewichen waren, seit die Halle vom einfachen Volk belagert wurde. Vielleicht musste Reimar ja Knappendienste leisten, oder er vertrieb sich einfach nur die Zeit mit den Männern. Allerdings hatte der junge Brennberg ihr anvertraut, dass er sich nach Möglichkeit von den Rittern fernhielt, vor allem, wenn Wirtho unter ihnen war. Der nämlich liebte es, seinen kleinen Bruder vor den anderen bloßzustellen und wegen seiner geringen Körperkraft aufzuziehen. Auch Arigund graute es, in die Waffenkammer zu gehen. Auf dem Weg dorthin suchte sie fieberhaft nach plausiblen Begründungen, weshalb sie Reimar sprechen wollte, aber keine schien ihr besonders überzeugend. Schließlich entschloss sie sich zu der Behauptung, Frau Kunigund verlange nach ihrem Sohn, was sogar ein ganz klein wenig der Wahrheit entsprach.
Energisch klopfte sie an, atmete tief durch und öffnete die Tür. Drinnen stank es noch schlimmer als in der Halle. Der Raum war voller lärmender Männer. An dem hölzernen Tisch in der Mitte, auf dem eigentlich die Speisen angerichtet wurden, saß Wirtho mit drei Rittern, jeder von ihnen mit einem Krug voll Bier, vor ihnen ein Würfelspiel. Die große Platte mit Hühnchen, eine Schüssel mit gekochten Brennnesseln, den Getreidebrei und einen riesigen Laib Brot hatten die Ritter in eine Ecke auf den Boden verbannt. Drei Knappen mussten das Abendessen gegen die Hunde verteidigen. Dem Fluch nach zu urteilen, den der zukünftige Burgherr ausstieß, hatte er gerade eine größere Summe an seine Mitspieler verloren. Sein Blick fiel auf Arigund. Böse stierte er sie mit blutunterlaufenen Augen an. »Was willst du denn?«, lallte er. »Suchst du etwa wieder deine Maultiere? Hier sind sie nicht versteckt.«
Einen Moment brütete der Ritter vor sich hin, dann maulte er: »Du kannst sie ohnehin zurückhaben. Die Biester sind vom Teufel besessen. Die halbe Ernte ist dahin, liegt klitschnass auf den Felsen.«
Arigund rührte sich nicht und antwortete scheinbar ohne großes Interesse. »Wenn es Euer Wille ist, Wirtho von Brennberg, so sei es. Ich werde die Tiere meines Vaters wieder in Besitz nehmen. Allerdings schickte mich lediglich die Herrin Kunigund den Herrn Reimar holen.«
Wirtho lachte laut auf. »Den suchst du in der Waffenkammer vergebens. Hier sitzen Männer, die Schwerter zu führen wissen und nicht an Lauten zupfen. Ich bin mir allerdings sicher, dass dir von denen da« – er machte eine ausladende Geste mit dem Arm – »gerne einer mit seiner Lanze zu Diensten sein wird, Jungfer Arigund.«
Wirtho machte eine obszöne Geste. Die Ritter grinsten anzüglich. Einige der jüngeren machten Wirthos Handbewegungen nach und leckten sich über die Lippen.
»Nun ist es aber gut«, fuhr der Waffenmeister dazwischen. »Das ist kein Benehmen für junge Ritter.«
Der Mann beugte sein schon leicht
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