Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Dirndl. Ihre Hand streifte Ferdls Hüfte, und während sie den Schlüssel von Ferdls Gürtel löste, gurrte sie: »Komm, lass uns Braten und Bier mit nach oben nehmen. Da ist es viel gemütlicher.«
Spielerisch schlängelte sie ihn zu der steinernen Treppe, die in den zweiten Stock führte. Während sie Resl den Schlüssel unauffällig in die Hand drückte, schwenkte sie ihre ausladenden Hüften. »Oder hast du keine Lust?«
Hilfesuchend sah sich der Wachmann um und versuchte seinen Schlüssel wiederzubekommen. Die Magd drängte sich an ihn, kraulte ihm den Bart und hatte augenblicklich wieder seine volle Aufmerksamkeit. »Von mir aus«, seufzte Ferdl, »aber nur ganz schnell.«
»Das is ganz und gar deine Entscheidung«, meinte Resl zufrieden. Unauffällig drückte sie Luise etwas in die Hand, was für Annelies wie eine Schweinsblase aussah. Die beiden verschwanden nach oben, man hörte sie kichern und schmatzen. Resl steckte den rostigen Schlüssel in das Schloss, doch es brauchte Annelies’ kräftige Hände, um die Falltür vom Angstloch anzuheben. Bestialischer Gestank nach Moder, Urin und Rattenmist drang aus dem Loch. Unten war es stockfinster. Resl schickte Annelies nach einer Fackel.
»Matthias«, krächzte die Alte.
Ein Stöhnen drang aus der Dunkelheit.
Annelies kam mit der Fackel und leuchtete in die Tiefe. Die Ratten verkrochen sich kreischend. Auf dem Boden lag eine leblose Gestalt: Matthias. Annelies kamen erneut die Tränen.
»Du musst mich mit der Haspel herunterlassen«, befahl die Alte und deutete auf einen Knüppel, der an einem derben Seil hing. Er war gerade so breit, dass man sich draufhocken konnte und trotzdem durch das Angstloch passte. Resl zog den Knüppel zu sich herüber und nahm ihn zwischen die Beine. Das andere Ende des Seils reichte sie Annelies.
»Mach schon, so viel Zeit haben wir nicht!«, befahl sie. Annelies schluckte. Zwar war sie kräftig und Arbeit gewohnt, aber es ging mindestens zehn Ellen in die Tiefe. Ob sie es schaffte, die Alte so lange zu halten und dann auch noch wieder heraufzuziehen? Versuchen musste sie es! Tatsächlich war es leichter, als sie gedacht hatte. Im Nu stand Resl im Loch. »Die Fackel und den Korb«, gab die Kräuterfrau weitere Anweisungen. »Binde beides an den Knüppel!«
Annelies tat wie ihr geheißen. Kurze Zeit später erhellte das flackernde Feuer Matthias’ Gefängnis. Die steinernen Wände waren schwarz und glänzten feucht. Der Boden bestand aus dem grauen Felsen, auf dem die ganze Burg stand. Man hatte Matthias ganz offensichtlich einfach ins Loch geworfen und die Falltür geschlossen. Er war kaum wiederzuerkennen. Sein Gesicht war verschwollen, die Nase fast doppelt so dick wie zuvor. Als der Lichtschein ihn traf, versuchte er die Augen zu öffnen, was ihm jedoch nur mit einem gelang. Resl kniete sich neben den Verletzten und schüttelte den Kopf. »Eieiei, di ham’s aber sauber zugerichtet«, murmelte sie und Annelies befahl sie: »Lass Wasser runter. Hinter dir steht a Eimer.«
Das Mädchen tat, wie ihm geheißen. Behutsam wischte Resl dem Knecht Blut und Dreck aus dem Gesicht. »Also, die Nasn is brocha«, erklärte sie. »Wern ma richten müssen, sonst dastickst uns no.«
Bevor der Knecht seine Zustimmung geben konnte, hatte die Alte schon zugepackt. Matthias schrie auf.
»Etza aber, werst dich doch net so gehen lassen vor dem Derndl«, schimpfte Resl.
Matthias dreht den Kopf etwas. Annelies beugte sich über das Loch, sodass er ihr Gesicht erkennen konnte. Kurz schien er sie tatsächlich anzusehen. Er versuchte etwas zu sagen, doch es kamen nur unverständliche Laute aus seinem Mund. Annelies tropften heiße Tränen in die Tiefe. Wie gern hätte sie jetzt einfach nur seine Hand gehalten, während Resl Arnikasalbe auf die geschwollene Nase auftrug. Als die Alte ihm das Hemd aufknöpfte, stockte dem Mädchen der Atem. Unzählige blaue Flecken übersäten den muskulösen Körper. Etwas zischte. Schwarzer Rauch stieg neben Annelies hoch.
»Pass doch auf«, fauchte die Resl sie an, »mir ham nur des eine Licht.«
Doch dann zwinkerte sie dem Mädchen versöhnlich zu. »Derfst scho hinschau’n. Is a strammer Bursch, der Rossknecht.«
Gewesen, dachte Annelies bitter und seufzte.
»Etz wird’s a bisserl wehtun, Matthias. Wir müssen die gebrochenen Rippen verbinden.«
Obwohl sie sehr vorsichtig war, schrie der Knecht mehrfach vor Schmerzen auf. Völlig entkräftet schloss er die Augen, als Resl ihre Arbeit beendet hatte.
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