Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
hielt den Blick gesenkt: »Annelies ist nicht wohl, Herrin. Sie hat mich gebeten, heute ihre Arbeit für Euch zu verrichten.«
Arigund musterte das Mädchen misstrauisch. Da war zweifellos etwas faul: Heute Morgen war Annelies putzmunter gewesen, kein Anzeichen von Schwäche. Selbst wenn: Ihre Zofe würde zumindest selbst bei Arigund erscheinen und sich entschuldigen.
»Was soll das?«, hakte Arigund nach. »Ich bestehe darauf, dass Annelies kommt. Geh sie holen, egal wie krank sie ist!«
»Aber sie hat sich niedergelegt. Sie kann nicht aufstehen.«
»Das glaube ich nicht«, widersprach Arigund. »Was soll sie denn haben?«
»Bauchschmerzen«, stotterte das Mädchen. »Ganz schlimme Bauchschmerzen.«
»Dann werde ich jetzt nach ihr sehen.« Arigund bewegte sich zur Tür. »Zeig mir den Weg.«
Die Magd rührte sich nicht eine Handbreit. »Seid unbesorgt, die Kräuterfrau ist bereits bei ihr, und Ihr wollt euch doch gewiss nicht mit der Pflege einer Zofe belasten.«
Arigund wandte sich wieder um und durchbohrte die Magd mit ihren schwarzen Augen. Das Mädchen schien in sich zusammenzusinken. Stumm stand es da und wusste ganz offensichtlich nicht weiter.
»Wie heißt du?«, fragte Arigund in einem freundlicheren Ton. Bei diesem Mädchen kam sie mit Drohungen nicht weiter.
»Luise.«
»Luise, hör mir zu. Ich bin für Annelies verantwortlich. Du wirst mir jetzt sofort sagen, was los ist, und du wirst mich zu ihr bringen.«
Große, runde Tränen kullerten die runden Wangen herunter. Luise fing an zu schniefen.
»Meine Güte, Mädchen, so rede doch. Gewiss kann ich helfen.«
Mit stockenden Worten erzählte die Magd endlich von den heimlichen Besuchen im Kerker.
»Und wo ist Annelies jetzt?«, fragte Arigund mit klopfendem Herzen, als Luise geendet hatte.
Die Magd zuckte mit den Schultern. »Ich nehme an, noch im Loch.«
»Und der Herr Wirtho?«
»Hat sie wohl nicht entdeckt. Jedenfalls noch nicht.«
»Was sagt deine Großmutter?«
»Sie schimpft wie ein Rohrspatz.«
»Kann sie herkommen?«
»Ja, nur, man wird sich wundern …«
»Sag einfach, sie soll meine Kemenate ausräuchern. Das Ungeziefer nähme überhand.«
Das Mädchen nickte und fuhr sich mit dem Ärmel ihres grauen Leinenhemds über das Gesicht, um den Rotz abzuwischen. Dann verschwand es und ließ Arigund ohne Feuer im Kamin zurück. Missmutig versuchte die Kaufmannstochter selbst, die feuchten Scheite so anzuordnen, dass wenigstens der Rauch im Kamin abzog. Doch je mehr sie stocherte, desto heftiger qualmte das Feuer. Keuchend rettete Arigund sich an das schmale Fenster, um frische Luft zu bekommen.
»Der Kamin zieht net bei so am Wetter«, stellte eine krächzende Stimme fest. »Luise, kipp an Eimer Wasser drauf, bevor ma derstickn.«
Hinter der Rauchschwade zeichneten sich zwei Gestalten ab, von denen eine ganz offensichtlich den Ton angab. Ohne die Erlaubnis der Kaufmannstochter abzuwarten, schnappte sich die Magd den Wasserkrug und rückte dem Feuer zu Leibe. Es zischte noch einmal laut auf, dann war die Glut erloschen. Arigund war froh, denn vermutlich hätten die Wachen bald Feueralarm gegeben, so sehr qualmte es aus ihrem Fenster.
»Also räuchern müss ma da nimma«, stellte die Alte fest. »Wos an Viechzeugs da war, is etze verreckt.«
Arigund blinzelte die Augen frei und musterte die Resl. Genau so hatte sie sich eine Kräuterfrau vorgestellt, scheinbar mindestens hundert Jahre alt, runzliges Gesicht mit dunklen Flecken, aber mit schnellem Verstand und mutigen Augen. Ihre Füße steckten in geschnitzten Schuhen, und ihre langen, knotigen Hände umklammerten einen gewaltigen Holzstab.
»Du bist also die Resl«, begann Arigund.
»Die bin i«, bestätigte die Alte.
»Wir haben uns doch schon mal gesehen, unten in der Küche?«
»Scho, scho.«
»Luise hat mir alles gebeichtet. Was habt ihr euch nur dabei gedacht? Wenn das rauskommt, habt ihr weder dem Knecht noch Annelies geholfen. Sie muss befreit werden, bevor jemand Wind von der Sache bekommt.«
Resl legte nachdenklich den Kopf schief. »Mir ham’s scho probiert, aber sie ham die Wachknechten getauscht. Is nimmer der Ferdl, sondern der Alois. Des is a feiger Hund. Lässt uns nimma eini.«
»Der Alois hat Schiss vor dem Herrn Wirtho«, erklärte Luise. »Der hat gesagt, wenn noch einmal jemand von den Dienstboten im Turm erwischt wird, dann hängt er die Wache gleich mit auf.«
»A Narrischer halt, unser Herr Wirtho«, stellte die Resl fest und machte ein Gesicht,
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