Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
wurden von wenigen Talglichtern spärlich beleuchtet. Ein Scherzbold hatte mit Asche einen Reiter auf einem schwarzen Pferd unter eines der Lichter gemalt. Die Schrift darunter war verwischt, aber Arigund hätte wetten mögen, dass es ein Spottlied gewesen war. Um wen es dabei ging, lag auf der Hand, denn wer außer Wirtho ritt auf dieser Burg einen Rappen? Der Klang von schweren Stiefeln, die hastig die Leiter emporstiegen, ließ das Mädchen aufhorchen. Das konnte nur Alois sein. Sollte der Wachknecht nicht längst auf dem Donnerbalken sitzen? Suchend sah sich das Mädchen nach einem Versteck um, fand aber keines. Schon schob sich die Gestalt des leise jammernden Wachknechts über die Kante der Türöffnung. Seine Stiefel klatschten auf den Boden, und sein Stöhnen zeugte unverkennbar davon, dass die Fuchsleber ihre Wirkung tat. Für eine Sekunde keimte in der Patriziertochter die Hoffnung, er könnte noch umkehren. Doch dann richtete sich der Wachmann mühsam auf. Alois war ein mächtiger Bursche mit breiten Schultern und Händen wie Wagenräder. Als er bemerkte, dass er nicht allein war, wankte er auf Arigund zu. Er stank nach Bier und Schweiß.
»Was zum Teufel …«, donnerte er los, unterbrach sich aber hastig, als er erkannte, dass er keine Dienstmagd, sondern ein Fräulein von Stand vor sich hatte. Einen Augenblick starrte er sie überrascht an, dann meinte er: »Ihr habt Euch wohl verlaufen, Herrin.«
Arigund öffnete den Mund für eine rüde Antwort, kam aber nicht mehr dazu. Der Mann wurde blass, fasste sich an den Wams, krümmte sich und rannte kurzerhand zum Eingang zurück. Die Fuchsleber würde ihn erneut an den Abtritt fesseln. Jetzt galt es, schnell zu handeln. Hektisch riss sie an der Falltür. Vergeblich. Dann entdeckte sie das Schloss. Davon hatte niemand etwas erwähnt. Arigund hämmerte mit der Hand gegen die hölzerne Klappe. »Annelies, Annelies!« rief sie. »Bist du da drin?«
Kein Ton drang durch die dicken Bretter. Die Kaufmannstochter sah sich suchend nach dem Schlüssel um. Der Raum war leer bis auf einen Stuhl und ein paar eiserne Ringe, die an die Wand geschmiedet waren. Vermutlich wurden hier die Gefangenen der peinlichen Befragung unterzogen. Ein Schlüssel war nirgends zu sehen. Arigund sank der Mut.
»Was, wenn der Kerl den Schlüssel mitgenommen hat?«, kam es ihr in den Sinn. Wut und Verzweiflung stiegen in ihr auf. Das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein. Systematisch suchten ihre Augen die Wände ab. Ihr Blick blieb an dem Holzbalken hängen, der offensichtlich die Decke des Raumes stützte. Oberhalb befand sich eine breite Ritze, idealerweise gleich an der Leiter zur Kammer des Türmers gelegen und für einen Mann bequem zu erreichen. Entschlossen rannte das Mädchen hin, stellte sich auf die Zehenspitzen und tastete nach kaltem Metall. Da war er! Klirrend fiel ein grob geschmiedeter Schlüssel vor ihre Füße. Arigund bückte sich und hob ihn auf. Ihre Finger zitterten so stark, dass sie den Bart zunächst nicht in die Öffnung bekam. »Annelies, gib mir doch ein Zeichen, wenn du da drin bist«, rief das Mädchen aufgeregt.
Ein weiterer Versuch, dann sprang das Schloss endlich auf. Unendlich schwer ließ sich die Falltür anheben. Die Kaufmannstochter blickte in ein gähnend schwarzes Loch. Es war so tief, dass nichts zu erkennen war.
»Annelies?«, rief Arigund erneut. Endlich hörte sie ein gedämpftes Schluchzen.
»Hier, hier unten bin ich«, tönte die vertraute Stimme aus der Dunkelheit.
»Wie bekomme ich dich hoch?«, fragte die Kaufmannstochter.
»Mit dem hölzernen Knüppel, Herrin. Ihr müsst die Winde betätigen.«
Arigund sah nach oben und entdeckte die Vorrichtung. Die hölzerne Stange nach unten zu lassen war nicht schwierig, doch Annelies heraufzuziehen erforderte Arigunds ganze Kraft. Endlich reckte sich ihr die Hand ihrer Zofe entgegen, von Schmutz starrend und mit abgebrochenen Fingernägeln. Arigund griff danach, und zwei Atemzüge später lag Annelies ihr in den Armen. »Oh, Herrin, ich dachte, ich müsste in diesem Loch elendig sterben.«
Arigund schüttelte das Mädchen von sich ab: »Das kann leicht noch passieren, du leichtsinniges Huhn. Wir müssen hier raus, und zwar so schnell es geht.«
Sie fasste nach der Hand ihrer Zofe und versuchte sie mit sich zu zerren. Die aber sträubte sich: »Matthias, können wir ihn nicht mitnehmen?«
»Bist du von Sinnen?«, fuhr Arigund sie an, und ihre Stimme überschlug sich. »Keine Sekunde
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