Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
länger können wir hierbleiben. Der Wachmann kann jeden Augenblick zurückkommen. Wenn er uns hier erwischt, ist es aus mit uns.«
Energisch hob die Kaufmannstochter den Deckel der Falltür an und ließ ihn zufallen. Keinen Moment zu früh: Sie hatte gerade das Schloss zugedrückt, als von draußen lautes Schimpfen zu hören war. Die Stimme gehörte unverkennbar Wirtho. Arigund erblasste.
»Beeil dich!«, drängte Arigund die Zofe. Seite an Seite spähten sie aus der Öffnung.
»Du hast deinen Platz nicht zu verlassen!«, herrschte Wirtho gerade den Wachknecht an, »und wenn es dich zerreißt. Sollte ich dich noch einmal dabei erwischen, werde ich dir Gehorsam einprügeln. Und jetzt will ich zu dem Gefangenen!«
Der Wachknecht wimmerte, und Arigund blieb das Herz stehen. Diesmal würde es schlimm ausgehen. Bestenfalls würde man sie in Schimpf und Schande davonjagen. Hätten sie doch bloß Regensburg nie verlassen! Doch plötzlich war ein schrilles Gezänk zu hören. Zwei Frauen stritten sich lautstark. Resl und Luise, gar kein Zweifel. Die Kaufmannstochter verstand sofort. Die beiden versuchten, den jungen Ritter und die Wachleute abzulenken. Tatsächlich wandten sich die beiden Männer vom Turm ab und schritten zum anderen Ende des Hofs. Energisch schob die Kaufmannstochter ihre Zofe auf die Leiter.
»Beeil dich!«, raunte sie. Das Mädchen zögerte keinen Augenblick. Flink wie ein Eichhörnchen kletterte es die Leiter hinunter. Arigund konnte ihm kaum nachkommen. Der Plan der Mägde schien aufzugehen. Sie boten den Männern ein schönes Spektakel. Der Weg über den Hof war frei. Arigund und Annelies sahen sich an. Die Patrizierin nickte: »Auf drei!«, flüsterte sie und schloss für einen winzigen Augenblick die Lider. Dann zählte sie. Bei drei rannten sie Hand in Hand los. Sie hielten sich dicht an der Mauer und huschten wie Gespenster durch die Nacht. Erst als sie den Hof überquert hatten, blieben sie stehen. Arigund bemerkte, dass sie die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Sie lehnte sich an die mächtigen Granitfelsen und atmete tief durch. Annelies war erschöpft niedergesunken. Sie schluchzte wieder leise. Diesmal beugte sich Arigund zu ihr hinab und strich ihr übers Haar.
Das Streiten am Turm war längst verklungen, als sich die Zofe endlich beruhigte. Seite an Seite wanderten die beiden Mädchen zum Garten. Wortlos standen sie neben dem Apfelbaum und lauschten den Geräuschen der Nacht. Ein Käuzchen flötete im Wald, und irgendwie war es, als würde es leise einen Namen rufen. Doch Arigund verstand ihn nicht. Sie strengte ihre Ohren an, als das Käuzchen seinen Ruf wiederholte, aber das Tier war zu weit weg, und vermutlich hatten ihre Nerven ihr sowieso nur einen Streich gespielt.
»Das war knapp«, meinte Arigund endlich, als sich ihr Herzschlag beruhigt hatte.
Annelies nickte, ohne ihre Herrin anzusehen.
»Danke«, murmelte sie schließlich. »Das werde ich Euch nie vergessen.«
»Allein hätte ich es nicht geschafft. Ich glaube fast, du hast hier Freunde gewonnen.«
»Resl und Luise?«, wollte die Zofe wissen.
Arigund nickte. »So etwas machst du aber nicht wieder, Annelies, oder?«
Das Mädchen hob die Augen, blieb aber eine Antwort schuldig.
K APITEL 13
Die ganze Burg schwirrte von Stimmen, als sich Arigund am nächsten Morgen auf den Weg machte, um Frau Kunigund auf ihrem Rundgang und bei der Kontrolle der Vorräte zu begleiten. Ritter krakelten Befehle, Pferde wurden auf den Hof gezerrt. Der Waffenmeister schien die Übungsstunden heute besonders früh angesetzt zu haben. Kein Wunder. Nach den letzten kühlen Regentagen bahnte sich die Sommersonne wieder ihren Weg zur Erde. Es würde ein brütend heißer Tag werden. Der Truchsess kreuzte ihren Weg, grüßte jedoch nur kurz und schritt dann, ohne ein Pferd zu besteigen, Richtung Übungswiese. Kurz darauf entdeckte die Kaufmannstochter die Burgherrin an der Seite des Kochs. Sie winkte das Mädchen freundlich zu sich. Der gemeinsame Gang hatte sich seit einiger Zeit eingebürgert. Dabei hatte Arigund die Aufgabe, über die Lieferungen der Bauern und die Entnahme der Vorräte genauestens Buch zu führen und Frau Kunigunds Anordnungen auf Pergament zu fixieren.
Die Burgherrin nickte dem Mädchen wohlwollend zu, als es vor ihr knickste.
»Gott zum Gruße, Arigund«, meinte sie mit selten heiterer Miene.
Arigund erwiderte den Gruß. »Darf ich nach dem Befinden des Herrn Reimar fragen?«
Kunigund von Brennberg strahlte. »Viel
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