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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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keine Schneeschuhe und sank bei jedem Schritt so tief ein, dass es mich große Anstrengungen kostete, vorwärtszukommen. Mehr als einmal stolperte ich und fiel in den weichen Pulverschnee.
    Ich erlaubte mir nicht, darüber nachzudenken, was ich tat, sonst hätte ich niemals die Kraft dafür aufgebracht. Hätte der Kälteeinbruch schon länger angedauert, hätte ich schneller über den gefrorenen See laufen können, aber noch traute ich der dünnen Eisschicht nicht.
    Der Kraftplatz war mittlerweile kaum wiederzuerkennen. Ich konnte gerade noch die Kuppen der Wechselsteine an den Rändern der Lichtung entdecken. Der kleine Bach war völlig zugefroren und bereits von einer dünnen Schneeschicht bedeckt.
    Mit bloßen Händen versuchte ich, eine Stelle am Boden vom Schnee zu befreien, öffnete mit klammen Fingern Kaukets Lederunterlage und nahm vorsichtig den verdorrten Eisenhut heraus. Die anderen Giftpflanzen und die Knollenblätterpilze warf ich achtlos hinter mich.
    Ich legte die Pflanze vor mich auf den Boden, umfasste meinen Stab mit beiden Händen und stellte ihn auf die Erde.
    »Wachse Eisenhut!« Ich schloss die Augen.
    Der gefrorene Boden unter mir knarzte. Ich musste die Augen nicht öffnen, um zu wissen, dass ein tiefblauer Eisenhut gerade, den Gesetzen der Natur zum Trotz, seine Blüten und seine gefiederten Blätter dem Himmel entgegenreckte.
    Ich wiederholte den Schritt so oft, ich konnte nicht mehr sagen, wie viel Zeit ich auf der Lichtung verbrachte. Ich hatte so viele Samen des Eisenhuts verstreut, dass seine blauen Blüten fast überall auf der Lichtung aus dem Schnee hervorlugten – so wunderschön – so tödlich.
    Ich pflückte, soviel ich tragen konnte, und schlug die Blumen in das Leder ein.
    Als ich den Kraftplatz verließ, verharrte ich kurz neben der alten Eibe, die Kauket mir vor einer halben Ewigkeit gezeigt hatte. Gedankenverloren brach ich ein paar junge Zweige ab und legte sie zu dem Eisenhut. In mir regte sich die tödliche Gewissheit, dass ich nun das Gift in meinen Händen hielt, das Gormans Herz zum Stillstand bringen konnte.
     
    Nephtys beobachtete mich schweigend, als ich ihren größten Tontopf auf das Herdfeuer stellte und begann, Wasser aufzukochen. Erst als heißer Dampf von dem Topf aufstieg, warf ich das Pflanzengemisch hinein. Nephtys wollte sich über den Topf beugen, aber ich hielt sie entschieden zurück. Ich war nicht sicher, ob nicht ein Teil des Gifts auch in den Dampf übergehen würde.
    Für zwei Stunden erlaubte ich dem Wasser, das Gift aus den Pflanzen zu ziehen. Dann nahm ich den Topf vom Feuer. Es war wenig Wasser übrig, aber es enthielt jetzt den Geist der Pflanze. Ich goss es in eine kleine Schale, die Pflanzenreste beachtete ich nicht weiter.
    Ich legte ein paar Klümpchen Birkenpech in den Sud und beobachtete, wie sich die schwarzen Klumpen auflösten und sich eine zähflüssige, klebrige Masse bildete. Mit einem kleinen Stock vermischte ich das Pech sorgfältig mit dem heißen Giftsud, dann lief ich nach draußen.
    Nach einer Weile folgte mir Nephtys und schlang fröstelnd die Arme um den Körper. Während der Abendhimmel sich rot färbte, sah sie mir zu, wie ich mit starrem Blick die Feuersteinspitzen meiner Pfeile in das klebrige Gift tauchte und sie zum Trocknen auf den Boden legte.
    Ich versuchte, mich nur auf das zu konzentrieren, was ich tat, und nicht daran zu denken, dass diese Pfeile für Gorman bestimmt waren. Irgendwann trat Nephtys an mich heran und nahm mir die Giftschale vorsichtig aus der Hand. Sie legte ihre warmen Hände auf meine tauben Finger.
    »Sie sind schon ganz blau«, sagte sie. »Komm doch rein.«
    Ich lächelte matt. Ich hatte ihre Gesellschaft jetzt dringender nötig, als sie glaubte.
    »Weißt du, ein bisschen Wärme kann nicht schaden.«
    Seltsamerweise reagierte Nephtys nicht. Ihr Blick war auf etwas weit hinter mir gerichtet. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck und die Farbe wich aus ihrem Gesicht.
    »Ainwa«, flüsterte sie. »Er hat uns gefunden.«
    Etwas in mir gefror zu Eis. Langsam, ganz langsam wandte ich mich um.
    Weit hinter dem Berghang, in dem der Eingang der Höhle lag, stand eine pechschwarze Rauchsäule am Abendhimmel.
    Am Ende hatte die Dunkelheit doch einen Weg gefunden, wie sie in die helle, freundliche Welt des Wanifenhauses kriechen konnte, die sich ihr so lange widersetzt hatte.
    »Kauket?«, flüsterte ich.
    Nephtys schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden.
    »Er entzündet niemals das

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