Die Wanifen
hat mir erzählt, dass er dich bald auf deine erste Jagd mitnehmen will.«
Ainwa lächelte.
»Gorman hat ihn überredet. Vater hält es noch für zu früh.«
»Nur wenige Mädchen werden zur Jägerin ausgebildet. Es ist eine Ehre für dich«, meinte Alfanger lächelnd.
Ainwa zögerte. »Es kommt mir vor, als wäre die Jagd eher Gormans Welt und nicht meine …«
»Wieso das?«
»Verstehst du etwas von der Welt der Geister, Alfanger?«
Ein beunruhigter Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Heilers. »Wieso möchtest du etwas darüber wissen, Mädchen?«
»Manchmal … höre ich Dinge.«
»Was für Dinge?«
»Es … es passiert nur an bestimmten Orten. Im Wald, am Weytaufer … Es sind seltsame Geräusche, ein Rauschen, Knarzen - aber nie sind Menschen oder Tiere in der Nähe, die sie verursachen. Am stärksten ist es am See. Alfanger, wenn ich am See sitze, dann ist es …«
Sie suchte vergeblich nach den richtigen Worten.
»Dann ist es, als wäre da jemand im Wasser … Jemand, der mit mir spricht. Und manchmal sehe ich etwas. Silber …«
»Du solltest dir nicht solchen Unfug einbilden, Ainwa«, unterbrach Alfanger sie streng.
»Ich habe mir das nicht ausgedacht«, beteuerte Ainwa.
»Widersprich mir nicht! Solche Dinge werden dich nur ins Unglück stürzen, hörst du?«
Alfanger wandte sich ab und schüttete einen Tonkrug mit Wasser über die Glut.
»Geh jetzt und ruh dich aus«, murmelte Alfanger, als zischender Dampf in den Nachthimmel stieg. »Deine erste Jagd steht bevor, ein großer Tag!«
Ainwa musterte ihn mit forschendem Blick.
»Da ist nichts im See«, flüsterte er.
Ich lauschte, aber außer dem Zwitschern der Vögel hörte ich nichts. Seltsam. Gorman hatte geglaubt, dass ihn das Elchenband zu mir führen würde, wann immer er wollte …
Und wenn ich das Elchenband außer Acht ließ? Wenn ich annahm, dass der Zauber doch nicht so mächtig war? Wo würde Gorman mir dann auflauern?
»Zuhause«, flüsterte ich. »Er wird darauf warten, dass ich nach Hause zurückkehre.«
Mir wich das Blut aus dem Gesicht und ich schwankte. Wenn Gorman nach Ataheim zurückkehrte, schwebten alle in großer Gefahr.
Ich musste zurück. Ich musste Gorman retten, und ihn davon abhalten, den anderen etwas anzutun.
Mein Blick wanderte zum Himmel. Während ich mit Gorman zum Weytafluss gewandert war, hatten wir die untergehende Sonne zu unserer Rechten gehabt.
Das hieß, es war vermutlich am Klügsten, nach Norden zu gehen. Ich suchte mir einen geeigneten Stock, auf den ich mich stützen konnte, und humpelte los.
Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, was sich alles zu dieser Jahreszeit in den Wäldern herumtrieb. Trotzdem sah ich all die großen Räuber in Gedanken vor mir. Zwei Wolfsrudel durchstreiften das Gebiet der Ata. Riesige Bären ließen sich ab und zu in den Wäldern blicken und manchmal kamen sie auf der Suche nach Nahrung sogar bis an den Rand der Siedlung, aber die Pfahlhütten der Ata lagen für sie unerreichbar.
Wenigstens war es nicht Winter. Im Winter verirrten sich vereinzelt noch andere Räuber in ihr Revier … Schakale und Löwen.
Alfanger hatte mir zwar erklärt, dass Löwen in seiner Jugend noch viel häufiger vorgekommen waren als jetzt, trotzdem verspürte ich im Winter manchmal ein mulmiges Gefühl, wenn ich im Wald unterwegs war. Auch wenn Gorman mir noch so oft versichert hatte, dass er es mit einem Rudel Löwen aufnehmen könnte.
Ich konzentrierte mich wieder auf den Weg. Nach einiger Zeit meldete sich langsam der Hunger zu Wort. Glücklicherweise bot der Wald Nahrung im Überfluss und es fiel mir nicht schwer, ihn mit Heidelbeeren, Haselnüssen und Steinpilzen zu stillen. Ich hatte mich schon öfter darüber gewundert. Warum diese Wochen des Überflusses, nur damit sich die Welt dann wieder in den eisigen Ort verwandeln konnte, an dem es rein gar nichts gab.
Als die Sonne tiefer sank, breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Ich hätte schon längst irgendetwas wiedererkennen oder zumindest den Lauf des Weyta erreicht haben müssen.
Ich begann, nach einem Aussichtspunkt zu suchen, von dem ich vielleicht den Ata oder zumindest ein bekanntes Bergmassiv erspähen konnte.
Nach einer Weile blieb ich stehen und blickte mich unschlüssig um.
Ich hatte eine große Lichtung erreicht, auf der zwei Rehe ästen. Eines von ihnen stellte aufmerksam die Lauscher auf und musterte mich argwöhnisch. Eine leichte Brise trug den Tieren meine Witterung zu und sie verschwanden
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