Die Wanifen
Elchenband so heftig zu brennen, dass ich mich vor Schmerz krümmte.
»Damit finde ich dich überall, werde dich jagen, hetzen und zur Strecke bringen und dann …« Gorman hob ruckartig den Kopf und sog die Luft ein, als würde er Witterung aufnehmen. »Was ist das … Ah, deine Schutzgeister streifen umher, meine Kleine, die Urukus! Sieht so aus, als müsste ich mich vorher um sie kümmern.«
»Nein«, flüsterte ich. Tränen traten in meine Augen. »Das kannst du nicht ernst meinen.«
Ein lauernder Ausdruck trat in Gormans Gesicht.
»Erwarte mich in der Dunkelheit, meine Kleine! Dann gibt es nur noch uns beide und all deine Trauer wird enden.«
Er verwandelte sich in Schatten, wurde zum Verbündeten der Nacht, und verschwand.
»Gorman?«, flüsterte ich. »Gorman.« Dumpfes Donnergrollen ließ die Erde erbeben. Ich stemmte mich auf die Knie. Es donnerte noch einmal und wenige Augenblicke später regnete es so stark, dass ich kaum noch etwas sehen konnte.
»Gorman«, murmelte ich und schleppte mich durch den Fluss zum anderen Ufer.
Ich musste ihn finden! Ich musste ihn retten! In welche Richtung war er verschwunden?
»Gorman, komm zurück. Gorman!« Doch das Rauschen des Regens verschluckte meine Rufe.
Ich versuchte, die schlammige Böschung hinaufzuklettern, die das Flussbett begrenzte. Immer wieder glitt ich ab und rutschte zurück auf das steinige Ufer. Erst beim fünften Anlauf gelang es mir.
Mein Arm brannte immer noch.
»Elchenband! Führe mich zu ihm«, wisperte ich, als ich durch das Dickicht kroch. »Elchenband!«
Stundenlang robbte ich durch den Wald. Manchmal hörte ich durch das Rauschen des Regens hindurch seltsame Geräusche im Dickicht, aber es war mir egal, dass ich für jedes Raubtier die leichteste Beute war.
Ich war verletzt, ich konnte nicht kämpfen und nicht fortlaufen. Die Wölfe würden mein Blut wittern, so wie Gorman, sobald der Regen aufhörte.
»Komm zurück«, flüsterte ich immer wieder und versuchte, den Schmerz in meinem Bein zurückzudrängen.
Ich fühlte mich so schwach, zitterte wie Espenlaub. Meine Kräfte erlahmten, ich verlor jedes Gefühl in meinen aufgerissenen Handflächen und dennoch kroch ich weiter durch den Morast.
Die Dunkelheit begann, sich zu drehen. Ich kippte zur Seite und fiel in den Schlamm. Stöhnend versuchte ich, mich wieder aufzurichten, aber ich hatte keine Kraft mehr. Die Finsternis wirbelte immer schneller, umfing mich, hüllte mich ein …
Ainwa war so kalt. Nebel lag über dem Dorf. Man hatte sie in Felldecken gewickelt, aber die Kälte wollte nicht von ihr weichen und kroch bis in die letzten Winkel ihres Körpers. Sie vermisste die Wärme und den Geruch von Leder, die die Umarmung ihres Vaters mit sich brachten. Sie wollte ihn an die Hand nehmen und zurück in die Hütte gehen und nicht hier sitzen und auf die reglosen Fluten des Sees starren. Sie lauschte den gedämpften Stimmen hinter sich.
»Der See hat ihren Vater geholt. Ainwa brach durch das Eis, als sie die Netze einholen wollte. Ralfing hat versucht, sie zu retten. Die Geister haben sein Opfer angenommen. Das Mädchen lebt!«
»Nun ist sie ganz allein, Alfanger. Walchin ist lange tot. Sie scheint denen Unglück zu bringen, die ihr nahe sind.«
»Hm …«, brummte der Heiler. »Das denke ich nicht, Galsinger. Ich habe keinen Einblick in die Welt der Geister, aber ein Opfer wie dieses bleibt nicht ohne Folgen. Ich halte es für möglich, dass Ainwa fortan unter ihrem Schutz steht. In diesem Fall wäre sie ein Segen.«
Der Steg neben Ainwa schwankte leicht. Gorman setzte sich. Neben ihm kam sie sich noch zierlicher vor, als sie ohnehin schon war. Seine dunklen Haare waren abgeschnitten worden und seine linke Schläfe war gerötet von den Tätowierungen, die er beim letzten Ratsfeuer erhalten hatte.
»Eine Jägerin sollte nicht weinen«, meinte Gorman sanft.
Ainwa antwortete nicht. Sie wollte nicht mit ihm sprechen. Sie hasste Gorman. Sie hasste ihn, weil er eine Mutter und einen Vater hatte – und weil sie ganz allein war.
Gormans Haselnussaugen musterten sie ernst.
»Es war nicht deine Schuld, kleine Schwester. Du wolltest helfen. Niemand wusste, dass das Eis an der Stelle dünn war.«
»Du bist nicht mein Bruder«, murmelte Ainwa.
Gorman legte ihr den Arm um die Schulter. Ainwa spürte einen angenehmen Hauch von Wärme, als er sie an sich drückte.
»Von jetzt an werde ich es sein.«
»Eine seltsame Freundschaft zwischen Gorman und diesem Mädchen«,
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