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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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letzten Worte waren nicht mehr als ein klägliches Gurgeln. Der Griff seiner starken Hände löste sich von meinem Körper.
    »Bitte«, röchelte er. »Beschütz sie.«
    »Papa! Papa nicht! Komm wieder rauf! KOMM WIEDER RAUF!«
    Meine kleine Hand krallte sich in das drahtige Haar meines Vaters, aber der Zug der Tiefe war stärker als ich. Ich erstarrte vor Schreck. Vater versank im glasklaren Wasser, bis ihn die Dunkelheit verschluckt hatte.
    »Papa«, brüllte ich verzweifelt. Ich wollte schwimmen, ich wollte Hilfe holen, aber ich hatte nicht mehr die Kraft, mich über Wasser zu halten. Ich sank in die eisige Kälte hinab. Die Wasseroberfläche über mir entfernte sich immer weiter. Mein Brustkorb zog sich quälend zusammen, während ich weiter ins Dunkel sank … ins Nichts. Mein Herz machte ein paar schmerzhafte Sprünge – und stand still. Mein letzter Atemhauch entströmte sanft aus meinen Lungen.
    Von weither vernahm ich ein zufriedenes Lachen, dann umfing mich Finsternis.
     
    Silber. Im eisigen Wasser des Sees … alles war erfüllt von silbernem Funkeln. Es fühlte sich warm an.
    »Hab keine Angst, mein Kind«, hörte ich eine mächtige Stimme sagen. »Von jetzt an beschütze ich dich.«
    Ich streckte meine Hand nach dem Funkeln aus.
    »Bleib bei mir«, bat ich.
    »Ich werde für immer bei dir bleiben. Ich werde immer für dich da sein, wenn du mich brauchst …«
    Ich wurde emporgehoben, schneller, immer schneller. Ich sah Licht. Es wurde heller, die Sonne.
     
    Ich sog mit einem kräftigen Atemzug Luft in meine Lungen. Mein Herz schlug so schnell, als könnte es nicht fassen, dass es wieder Gelegenheit dazu bekam.
    Wo war ich? Ich erkannte ein Paar grüne Augen, das mich fassungslos anglotzte.
    »Glaub es«, flüsterte ich und schlug dem Alb mit der Faust ins Gesicht.
    Das Wesen stürzte mit einem überraschten Heulen von meiner Brust, auf der es die ganze Zeit gehockt hatte.
    Ich sprang auf und hob meinen Stab auf.
    »Was ist das?«, rief Jewas erschrocken und hielt sich seine blutende Nase. »Alb, wie kann das sein? Sie war doch gerade noch tot!«
    »Sieht so aus, als hätte sich dein Hungerhaken an mir die Zähne ausgebissen«, rief ich Jewas hinüber. Ich fühlte mich so frisch wie neu geboren. Meine Verletzungen taten überhaupt nicht mehr weh.
    Jewas‘ Miene war wutverzerrt. Er wies mit seinem Stab auf mich.
    »Hol sie dir, Alb«, zischte er wütend.
    Der Alb wimmerte und wich einen Schritt zurück.
    »Was ist mit dir?«, fragte ich den Geist freundlich. »Angst?«
    »Ich sagte, du sollst sie umbringen«, zischte Jewas.
    Der Alb tat mir beinahe leid. Ich wusste, er musste den Befehlen seines Herrn gehorchen.
    Er sprang auf mich zu. Ich holte mit meinem Eibenstab aus und schlug zu. Wie hätte ich diesmal daneben schlagen können? Der Alb wurde mit einem lauten Heulen zu Boden geschleudert.
    Jewas brüllte auf und krümmte sich vor Schmerz. Der Alb kroch wimmernd zu seinem Herrn zurück und versteckte sich hinter ihm.
    »Das war für den Percht und für den Wanifen der Abira und … Ach, das würde bei Weitem nicht reichen, um alles zu vergelten, was du getan hast!«
    Jewas rappelte sich keuchend auf und funkelte mich wütend an.
    »Ich mache dir ein Angebot, mein Lieber«, erklärte ich. »Gib auf und du verlässt den Dreibach heute lebend.«
    »Ha«, rief Jewas mit einem wilden Grinsen. »Was willst du denn tun? Du bist ein Nichts! Du kannst keinen Geist mehr rufen. Ich werde dich mit meinen eigenen Händen erwürgen.«
    »Hm«, meinte ich. »Entschuldige, wenn ich so direkt bin, mir fehlt wohl einfach die Klasse, aber irgendwie hatte ich gehofft, du würdest etwas in der Art sagen.«
    »Was soll das heißen, du Wurm?« Jewas zog ein Messer aus seinem Ledergurt. »Dich weide ich aus wie ein Stück Wild.«
    Ich sah auf mein Handgelenk. Für einen winzigen Augenblick schien das Zeichen meines Seelengeists in silbernem Licht zu funkeln. Ich atmete tief durch und hob meinen Stab.
    »Ata«, rief ich so laut ich konnte. »Beschütz dein Kind!«
    Dunkle Gewitterwolken ballten sich plötzlich über unseren Köpfen zusammen. Jewas blickte erschrocken zum Himmel.
    »Nein«, flüsterte er lächelnd. »Du kannst ihn nicht rufen.«
    Der Kraftplatz schien sich kurz zu verdunkeln. Die Luft knisterte. Ich umklammerte meinen Stab mit beiden Händen, dann brach ein gleißend helles Licht zwischen den Wolken hervor und eine gigantische Silhouette schob sich über den Himmel.
    Jewas stieß ein verrücktes Lachen

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