Die Wanifen
hervortrat, bemerkte ich die seltsame Kleidung, die sie trug. Sie war in ein Kleid gehüllt, wie ich es noch nie gesehen hatte. Es reichte bis zum Boden hinunter und sah aus, als würde es aus feinen Spinnweben bestehen, die im Sonnenlicht glitzerten, wenn sie sich bewegte.
Das Haar der Frau reichte ihr bis zu den Kniekehlen hinunter und hatte dieselbe Farbe wie die Nadeln der goldenen Lärche, unter der sie stand. Rote Ahornblätter hatten sich darin verfangen.
Ich konnte zwar nur die Hälfte ihrer Gestalt hinter dem Lärchenstamm erkennen, trotzdem betrachtete ich etwas neidvoll die üppigen Rundungen, die sich unter ihrem Spinnwebkleid abzeichneten.
»Das muss ein Salkweib sein.«
Das Knurren des Perchts wurde lauter und ich erkannte aus den Augenwinkeln, wie er sich zum Sprung bereit machte. Das Salkweib ließ sich sofort zurück in den Schatten der Lärche gleiten.
»Warte«, rief ich. »Wir tun dir nichts!« Ich wandte mich dem Percht zu. »Geh«, zischte ich. »Du erschreckst es.«
»Snarfgarr.«
»Ich meine es ernst.« Der Percht fauchte mich an und trollte sich grummelnd.
Ich wandte mich wieder dem Salkweib zu. Ein schüchternes Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus, ich vernahm ein kurzes Rauschen – und sie war verschwunden.
»Großartig«, murmelte ich.
Wütend auf den Percht stapfte ich weiter den Hang hinauf. Ich hätte das Salkweib gern aus der Nähe betrachtet, aber Kauket hatte mich ja schon vorgewarnt, dass sie sehr scheu waren.
Ich entfernte mich immer weiter vom See und erreichte schließlich eine Gegend des Tals, die ich bisher noch nie besucht hatte. Der Ort gefiel mir. Ein kleiner Bergbach schlängelte sich zwischen ein paar alten Ulmen hindurch und formte drei glasklare, tiefe Tümpel. Ich beschloss, hier ein bisschen zu bleiben und ,meine Sinne zu schärfen‘, wie Kauket es nannte. Ich schloss die Lider und sog prüfend Luft ein, aber ich vernahm nur das Plätschern von Wasser. Auch der Percht schien sich nicht mehr in meiner unmittelbaren Nähe aufzuhalten, denn ich konnte ihn weder hören noch riechen.
Ich öffnete die Augen wieder und ließ mich am Ufer eines Tümpels nieder. Das Wasser war überraschend tief. Ein schöner Ort. Es wunderte mich, dass Kauket und ich auf unseren Streifzügen durch das Tal nie hierher gekommen waren. Ich spielte mit dem Gedanken, einfach hier sitzen zu bleiben und alle Probleme der Menschenwelt einfach hinter mir zu lassen. Ich wusste, wie närrisch das war, aber für einen Augenblick gab ich mich bewusst der Illusion hin, dass mich alles, was mir auf der Seele lastete, hier nicht erreichen konnte.
Plötzlich hörte ich hinter mir hastiges Geflüster. Ich glaubte, eine Bewegung wahrzunehmen und ein Platschen zu hören.
Ich sprang auf und fuhr herum.
Nichts …
Die Oberfläche der beiden Tümpel war völlig unbewegt. Wahrscheinlich war nur ein Tannenzapfen ins Wasser geplumpst …
Ich seufzte und wollte mich gerade wieder abwenden, als ich ein Blubbern an der Wasseroberfläche erblickte. Ich kniff die Augen zusammen. Das Blubbern wiederholte sich, bis die ganze Oberfläche des Tümpels zu kochen schien.
Was passierte hier gerade? Ich sprang auf und wich vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. Ein massiger Schatten schien sich der blubbernden Wasseroberfläche zu nähern.
Ich ergriff meinen Stab fester. Egal, was da gleich hervorbrechen würde, ich würde bereit sein.
Etwas Dunkles teilte die Wassermassen und tauchte auf. Ein Kopf, dicht gefolgt von einem Hals und einem breiten Paar Schultern. Eine massige Gestalt stieg aus dem blubbernden Tümpel.
Ich stieß einen Schrei aus und prallte gegen den Stamm einer Ulme. Das konnte nicht sein! Wie … Wie war das nur möglich? Wie hatte er mich gefunden?
»Gorman …«
Gorman stand am Rand des Wasserlochs und sah mich an. Ich konnte nicht atmen, geschweige denn um Hilfe rufen.
Gorman lächelte mir zu. Er trug nur seine Hose aus Wisentleder. Es erinnerte mich, nass wie er war, an die zahllosen Sommerabende, an denen wir gemeinsam geschwommen waren. Seine Augen … seine Augen sahen genauso aus wie früher …
Noch machte er keine Anstalten näherzukommen. »Das kann nicht sein«, flüsterte ich. »Was für ein Zauber ist das?«
Gormans Lächeln verbreiterte sich. Er machte ein paar vorsichtige Schritte auf mich zu. Nein, da war nichts von dem Kelpi mehr an ihm.
Der Bann musste von Gorman gewichen sein, anders konnte ich es mir nicht erklären. Vorsichtig ging ich zu ihm
Weitere Kostenlose Bücher