Die Washington-Akte
noch so eine Jacke dabei, wie er sie in der unterirdischen Kammer zurückgelassen hatte. Auf der Rückfahrt über die Bucht würde ein frischer Wind wehen. Er war hungrig und fand ein paar Energieriegel und einen Behälter mit Wasser. Das gestohlene Boot würde er ans Festland zurückbringen und an einer Stelle liegen lassen, wo man es ein paar Tage lang nicht finden würde.
Er schaute auf die Uhr.
23.50 Uhr.
Lichter in der Bucht erregten seine Aufmerksamkeit. Er erblickte ein Boot, das aus der Richtung von Chester auf die Insel zugeschossen kam. So spät? Er fragte sich, ob das die Polizei war, die vielleicht die Schießerei gehört hatte.
Rasch löschte er das Feuer und verbarg sich im Gebüsch.
Das Boot änderte die Richtung und hielt auf ihn zu.
Knox saß im Heck und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen.
»Was erhoffen Sie sich von der Rückkehr?«, rief er Carbonell zu.
Sie trat dicht an ihn heran. »Zunächst einmal müssen wir die Sauerei aufräumen, die Sie hinterlassen haben. Liegen denn da nicht immer noch die Leichen Ihrer beiden Leute? Das hat Ihnen anscheinend keine Sorgen bereitet. Oder waren Sie so scharf darauf, mich zu töten, dass es Ihnen gleichgültig war?«
Wie schaffte es diese Frau, seine Gedanken zu lesen?
»Ganz recht, Clifford. Ich habe gehört, was Wyatt Ihnen gesagt hat. Ich hatte einen Mann vor Ort, der alles beobachtet hat. Sie sind zu dem Schluss gelangt, dass es am klügsten wäre, Wyatts Wunsch zu erfüllen und die Insel zu verlassen. Und mich zu töten. Wenn ich erst tot bin, befinden Sie sich in Sicherheit, da sonst keiner von unserer … Abmachung weiß. Hab ich recht?«
»Warum greifen Sie das Commonwealth an?«, fragte er.
»Sagen wir einfach, dass Stephanie Nelles Tod für keinen von uns mehr vorteilhaft wäre. Und wenn es mir gelingt, nebenbei die beiden fehlenden Seiten zu finden, steigt meine Aktie sogar noch höher. Wenn Sie ein braver Junge sind und sich benehmen, geschieht Ihnen nichts. Vielleicht gebe ich Ihnen dann sogar den Job, den ich erwähnt hatte. Und die Kapitäne?« Sie hielt inne. »Die wandern trotzdem ins Gefängnis.«
Er musste sie auf den entscheidenden Punkt hinweisen. »Sie besitzen die beiden fehlenden Seiten nicht.«
»Aber entweder Wyatt oder Malone haben sie oder werden sie bald haben. Ich kenne sie doch. Unsere Aufgabe ist es herauszufinden, wer im Besitz der Seiten ist, und dann beide Männer zu töten.«
Einer ihrer Begleiter gab Carbonell ein Zeichen und zeigte auf die Mitte der flachen Insel. Knox blickte ebenfalls hin. Einen Moment lang sah man Licht wie von einem brennenden Feuer, dann war es verschwunden.
»Sehen Sie«, sagte Carbonell. »Einer der beiden ist jetzt dort.«
72
North Carolina
Hale hatte die Situation im Griff. Etwa ein Dutzend Crewmitglieder war ständig auf dem Gelände anwesend, und jedes von ihnen war mehr als imstande, sich selbst zu verteidigen. Er hatte die Waffenkammer öffnen und an alle Männer Waffen austeilen lassen. Die Hauptstoßkraft des Angriffs schien auf das Haupthaus und das Gefängnis gerichtet zu sein. Mindestens vier Bewaffnete standen draußen zwischen den Bäumen und feuerten auf das Gefängnis. Wie im Haupthaus, so war auch hier die Stromzufuhr unterbrochen worden, aber dieses Gebäude war mit einem Notfallgenerator ausgestattet.
»Fesseln Sie beide Gefangene«, befahl Hale. »Und knebeln Sie sie.«
Sein Mitarbeiter eilte davon.
Hale stand ständig in Funkverbindung mit dem Sicherheitszentrum. Weitere Crewmitglieder waren zum Anwesen beordert worden, und Hale hatte entschieden, dass eine Verlegung der Gefangenen auf die Adventure die vernünftigste Maßnahme wäre. Er wandte sich dem anderen Gefängniswärter zu. »Ich möchte, dass Sie die Angreifer dort vorn beschäftigt halten. Nageln Sie sie fest.«
Der Mann nickte.
Hale begab sich zum hinteren Bereich des Erdgeschosses und zu einem zweiten Eingang, der der Versorgung des Gefängnisses diente. Von außen war dieser Eingang für jemanden, der von seiner Existenz nichts wusste, nicht zu erkennen. Ein Mann, den er vor einer halben Stunde dort aufgestellt hatte, berichtete, hinten sei alles ruhig. Da es auf dieser Seite keine Fenster und keinen sichtbaren Eingang gab, wunderte das Hale nicht. Offensichtlich hatte Carbonell entschieden, sich persönlich mit Stephanie Nelle zu befassen. Aber eines fragte er sich. War dies hier eine Rettungsmission? Nur das ergab einen Sinn. Carbonell würde niemals so viel Aufmerksamkeit auf sich
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