Die Washington-Akte
Schlafzimmertür zurück.
»Daddy. Hilf mir.«
Marys Stimme.
»Schätzchen. Ich bin hier«, rief er ins Feuer hinein. »Bist du in deinem Zimmer?«
»Daddy. Was ist los? Alles brennt. Ich bekomme keine Luft.«
Er musste es bis zu ihr schaffen, aber das war nicht möglich. Der Flur im zweiten Stock war verschwunden, zwischen seiner Tür und dem Zimmer seiner Tochter klaffte ein fünfzehn Meter breiter Abgrund. In wenigen Minuten würde auch das Schlafzimmer, in dem er stand, vom Feuer erfasst werden. Rauch und Hitze wurden unerträglich, stachen in seinen Augen und würgten ihn.
»Mary. Bist du noch da?« Er wartete. »Mary.«
Er musste zu ihr gelangen.
Er eilte zum Fenster und sah nach unten. Pauline war nirgendwo zu sehen. Vielleicht konnte er Mary von außen helfen. In der Scheune stand eine Leiter.
Er kletterte aus dem Fenster, hielt sich an der Fensterbank fest und ließ sich nach unten hängen. Dann löste er seinen Griff, fiel die verbleibenden drei Meter ins Gebüsch hinunter und landete auf den Beinen. Er arbeitete sich aus dem Gestrüpp heraus und rannte zur anderen Seite des Hauses. Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich sofort. Der ganze zweite Stock brannte lichterloh, auch das Zimmer seiner Tochter. Flammen schlugen aus den Außenwänden und zerstörten das Dach.
Pauline stand mit verschränkten Armen da und starrte nach oben.
»Sie ist tot«, heulte seine Frau mit tränenerstickter Stimme. »Mein Liebling ist tot.«
»Diese Nacht verfolgt ihn seit dreißig Jahren«, erklärte Davis, die Stimme nur ein Flüstern. »Das einzige Kind der Daniels ist gestorben, und Pauline konnte keine Kinder mehr bekommen.«
Cassiopeia wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Die Brandursache war eine Zigarre, die im Aschenbecher gelegen hatte. Damals saß Daniels im Stadtrat und liebte gute Rauchwaren. Pauline hatte ihn gebeten, mit dem Rauchen aufzuhören, aber er hatte sich geweigert. Rauchmelder gab es damals noch fast nirgendwo. Im offiziellen Bericht stand, dass der Brand hätte vermieden werden können.«
Sie verstand, was diese Schlussfolgerung letztlich bedeutete.
»Wie hat die Ehe der beiden das überlebt?«, fragte sie.
»Das hat sie nicht.«
Wyatt betrat Dr. Gary Voccios Büro, das im zweiten Stock lag. Voccio hatte ihn durch die Gegensprechanlage aufgefordert, die richtige Losung zu nennen, und das elektronische Schloss erst danach geöffnet. Der Doktor empfing ihn hinter einem mit Papieren übersäten Schreibtisch, auf dem drei LCD -Bildschirme standen. Voccio war ein hagerer vitaler Mann Ende dreißig, dessen rötliches Haar zu einem jungenhaften Pony geschnitten war. Er wirkte überarbeitet, trug die Hemdsärmel aufgekrempelt und hatte müde Augen.
Nicht gerade ein Naturbursche, sagte sich Wyatt.
»Ich bin kein Nachtmensch«, meinte Voccio beim Händeschütteln. »Aber die NIA zahlt, und wir freuen uns über zufriedene Kunden. Daher habe ich gewartet.«
»Ich brauche alles, was Sie haben.«
»Dieser Code war schwer zu knacken. Unsere Computer haben dazu beinahe zwei Monate gebraucht. Und selbst da war noch ein bisschen Glück im Spiel.«
Die Details interessierten Wyatt nicht. Stattdessen trat er quer durch den unordentlichen Raum zum Fenster. Es ging auf den vorderen Parkplatz hinaus, dessen nasser Asphalt im Licht der Natriumdampflampen schimmerte.
»Stimmt irgendwas nicht?«, fragte Voccio.
Das würde man sehen. Wyatt blickte weiter aus dem Fenster.
Plötzlich tauchten Autoscheinwerfer auf.
Ein Wagen bog von der Zufahrt auf den leeren Parkplatz ein und hielt.
Ein Mann stieg aus.
Cotton Malone.
Carbonell hatte recht gehabt.
Von links raste ein weiterer Wagen heran. Ohne Scheinwerfer. Er jagte direkt auf Malone zu.
Schüsse fielen.
Hale hörte, was Andrea Carbonell sagte. Ihr Tonfall klang nicht so, als fühlte sie sich in die Enge getrieben. Es lag eher die Oberflächlichkeit von jemandem darin, der ehrlich verwirrt ist.
»Ihnen ist doch klar, dass ich Stephanie Nelle ohne Weiteres freilassen kann, nachdem ich eine Abmachung mit ihr getroffen habe«, sagte er. »Schließlich ist sie die Chefin eines angesehenen Geheimdienstes.«
»Sie werden feststellen, dass es schwer ist, mit ihr zusammenzuarbeiten.«
»Schwerer als mit Ihnen?«
»Quentin, nur ich verfüge über den Codeschlüssel.«
»Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt. Sie haben uns schon einmal belogen.«
» Das Missgeschick mit Knox? Ich wollte mich nur absicher n. Na gut. Diese Runde geht an Sie.
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