Die Washington-Akte
Wie wäre es damit: Ich besorge Ihnen den Schlüssel. Und wenn Sie die fehlenden zwei Seiten gefunden haben, befinden wir beide uns in einer besseren Verhandlungsposition.«
»Im Gegenzug wollen Sie vermutlich, dass ich die gelagerte ›Ware‹ beseitige?«
»Als wenn das ein Problem für Sie wäre.«
»Selbst wenn ich die fehlenden Seiten fände, würde meine Immunität für diesen speziellen Anklagepunkt nicht gelten.« Wie er wusste, war ihr klar, dass der Kaperbrief Mord nicht einschloss.
»Das scheint Sie in der Vergangenheit nicht gestört zu haben, und am Grund des Atlantischen Ozeans liegt ein Mann, der mir da zustimmen würde.«
Ihre Bemerkung überrumpelte ihn. Dann begriff er: »Ihr Informant?«
»Spione sind recht nützlich.«
Aber sie hatte ihm einen Wink gegeben. Er wusste, wo er suchen musste. Und sie wusste, was er tun würde.
»Versuchen Sie, ein Problem zu lösen?«, fragte er.
Sie lachte. »Sagen wir einfach nur, ich kann recht großzügig sein, wenn mir danach ist. Nennen Sie es eine Demonstration meines guten Willens.«
Zum Teufel mit Stephanie Nelle. Vielleicht war sie tot für ihn wertvoller. »Geben Sie mir den Schlüssel. Sobald ich die zwei Seiten in Händen halte, sind Sie Ihr Problem los.«
28
Weißes Haus
Cassiopeia betrat einen Raum neben dem Eheschlafzimmer des Präsidenten, der als gemütlicher Rückzugsort eingerichtet war. Auf einem hell gemusterten Chintzsofa saß dort Pauline Daniels.
Die Agentin vom Secret Service draußen schloss die Tür hinter Cassiopeia.
Sie waren allein.
Das Gesicht der stumpfblonden First Lady wirkte jünger als die Anfang bis Mitte Sechzig, die sie haben musste. Achteckige Brillengläser ohne Rahmen beschirmten attraktive blaue Augen. Sie saß in einer unnatürlichen Haltung mit geradem Rücken da. Die geäderten Hände hatte sie im Schoß gefaltet; bekleidet war sie mit einem konservativen Wollkostüm und flachen Ballerinas von Chanel.
»Wenn ich recht verstanden habe, wollen Sie mich verhören«, sagte Mrs. Daniels.
»Ich würde es vorziehen, wenn wir uns einfach einmal unterhalten.«
»Und wer sind Sie?«
Cassiopeia hörte den abwehrenden Tonfall dieser Frage. »Jemand, der nicht hier sein möchte.«
»Dann sind wir ja schon zwei.«
Die First Lady gab ihr einen Wink, und Cassiopeia setzte sich in einen Sessel gegenüber dem Sofa. Zwischen ihnen lagen zwei Meter wie eine entmilitarisierte Zone. Dies hier war in vielerlei Hinsicht peinlich, und zwar nicht zuletzt, weil Edwin Davis ihr das gerade über Mary Daniels erzählt hatte.
Cassiopeia stellte sich vor und fragte dann: »Wo waren Sie eigentlich während des Anschlags auf den Präsidenten?«
Die ältere Dame sah auf einen kleinen Teppich hinunter, der auf dem Holzboden lag. »Bei Ihnen klingt das so unpersönlich. Er ist mein Mann.«
»Ich muss diese Frage stellen, und das wissen Sie auch.«
»Hier. Danny ist ohne mich nach New York geflogen. Er sagte, er wäre nur ein paar Stunden weg. Gegen Mitternacht würde er zurückkommen. Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht.«
Die Stimme blieb distanziert, als käme sie aus weiter Ferne.
»Wie haben Sie reagiert, als Sie davon erfuhren?«
Die First Lady sah auf, und ihre blauen Augen blickten konzentriert. »Ihre eigentliche Frage lautet, ob ich froh war.«
Cassiopeia wunderte sich über diese Direktheit und versuchte sich zu erinnern, ob sie in den Medien irgendetwas über ein Zerwürfnis – real oder eingebildet – zwischen dem Präsidenten und seiner Frau erfahren hatte, doch da war nichts. Die Ehe der beiden hatte immer als gut gegolten. Doch wenn das die Richtung war, in die diese Frau gehen wollte – nun schön. » Waren Sie denn froh?«
»Ich wusste nicht, was ich denken sollte, insbesondere nicht in den ersten Minuten nach dem Ereignis, bevor wir erfuhren, dass er unverletzt war. Ich war … verwirrt.«
Ein unbehagliches Schweigen senkte sich nieder.
»Sie wissen Bescheid, oder?«, fragte die ältere Dame Cassiopeia. »Über Mary.«
Sie nickte.
Das Gesicht der First Lady blieb ausdruckslos, eine Maske der Gleichgültigkeit. »Ich habe ihm das nie verziehen.«
»Warum sind Sie dann bei ihm geblieben?«
»Er ist mein Mann. Das Gelübde gilt für gute wie für schlechte Tage. Meine Mutter hat mich gelehrt, dass diese Worte etwas bedeuten.« Die First Lady holte tief Luft, als sammle sie Kraft. »Was Sie wirklich wissen wollen, ist, ob ich jemandem von dem Ausflug nach New York erzählt habe.«
Cassiopeia
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