Die Washington-Akte
Gesicht. »Sie sind ja ein richtiger Schlaukopf, oder? Bringen mich dazu, erst einmal über mich selbst zu reden.«
»Das hier ist keine neue Situation für mich.«
Die Belustigung wurde stärker. »Das glaube ich Ihnen gerne. Woher kommen Sie? Vom Secret Service? Vom FBI ?«
»Weder noch.«
»Nein, Sie sehen auch nicht so aus wie eine von denen.«
Cassiopeia fragte sich, wie die nach Kaisers Meinung wohl aussahen, erwiderte aber nur: »Sagen wir einfach, ich bin eine Freundin der Familie.«
Kaiser lächelte. »Diese Antwort gefällt mir. Okay, Freundin, Pauline und ich kennen uns inzwischen seit zwanzig Jahren.«
»Was heißt, dass Sie sich etwa ein Jahrzehnt nach dem Tod ihrer Tochter kennengelernt haben.«
»Das kommt wohl hin.«
Cassiopeia hatte bereits vermutet, dass Kaiser ein Nachtmensch war. Ihre Augen, die eigentlich von Müdigkeit verschleiert sein sollten, funkelten vor Leben. Leider hatte diese Frau zwei Stunden erhalten, um sich vorzubereiten. Die First Lady hatte keinen unangekündigten Besuch zugelassen. Per Handy hatte sie Kaiser eine kurze SMS geschickt.
»Kennen Sie auch den Präsidenten seit zwanzig Jahren?«, hakte Cassiopeia nach.
»Leider ja.«
»Dann nehme ich einmal an, dass Sie ihn nicht gewählt haben.«
»Nein. Und ich hätte ihn auch nicht geheiratet.«
Während Pauline sich die Seele hatte freireden wollen, machte diese Frau ihrem Ärger Luft. Aber Cassiopeia hatte keine Zeit für solche Gefühle. »Wie wäre es, wenn Sie die Spielchen sein lassen und erklären, worauf Sie hinauswollen.«
»Nur zu gern. Pauline ist innerlich tot. Haben Sie das nicht gemerkt?«
Doch, das hatte sie.
»Danny weiß das seit dem Tag, an dem sie Mary beerdigt haben. Aber schert er sich darum? Ist es ihm nicht scheißegal? Wenn er seine Frau so gefühlskalt behandelt, wie mag er dann erst mit seinen Feinden umspringen? Hat sich das schon einmal jemand gefragt? Ist es da ein Wunder, dass jemand auf ihn geschossen hat?«
»Woher wissen Sie denn, was er empfindet?«
»Ich kenne die beiden jetzt seit zwanzig Jahren. Kein einziges Mal habe ich ihn Marys Namen nennen hören. Nie hat er auch nur anklingen lassen, dass er einmal eine Tochter hatte. Es ist, als hätte sie nie gelebt.«
»Vielleicht ist das seine Art, mit seiner Trauer umzugehen.« Das musste sie sagen.
»Das ist es ja gerade. Er empfindet keine Trauer.«
Wyatt nutzte die kurze Atempause, die er sich durch die Blendgranate verschafft hatte, um mit Voccio zu einem zweiten Treppenhaus zu eilen, das, wie der Doktor ihm gesagt hatte, am anderen Ende des zweiten Stocks lag und von den Angestellten als kürzester Weg zur Cafeteria benutzt wurde. Sein Schützling, der offensichtlich noch nie in eine Schießerei verwickelt gewesen war, war eindeutig von Panik ergriffen.
Zum Glück war es für Wyatt nicht die erste solche Auseinandersetzung.
Jemand war zum Aufräumen gekommen, wie man in seiner Branche sagte. Er hatte selbst an ein paar solcher Kommandos teilgenommen und fragte sich, ob es die CIA , die NSA oder ein anderer Geheimdienst war oder ob Carbonell die Männer selbst geschickt hatte.
Tatsächlich ergab Letzteres den meisten Sinn.
Er eilte den Korridor entlang, öffnete die Tür ins Treppenhaus, lauschte und winkte Voccio dann, ihm zu folgen. Auf das Metallgeländer gestützt, stieg er die schwarze Treppe hinunter und achtete darauf, dass Voccio dicht hinter ihm blieb.
Dann verharrte er.
»Wie weit ist es bis zu Ihrem Wagen?«, flüsterte er.
Wyatt hörte ein raues Keuchen, aber Voccio antwortete nicht.
»Doktor, wenn wir entkommen wollen, brauche ich Ihre Hilfe.«
»Nicht weit … Er steht direkt beim Hinterausgang. Zur rechten Hand … wenn wir unten in der Eingangshalle sind.«
Wyatt stieg die letzten paar Stufen hinunter. Er legte die Hand an die Tür und schob sie auf.
Die Eingangshalle lag ruhig da.
Er gab Voccio einen Wink, dass sie geduckt nach rechts schleichen würden.
Sie ließen die Tür hinter sich.
Und da fielen die ersten Schüsse.
Malone hatte von der Treppenhaustür beobachtet, wie die beiden Killer durch den abknickenden Korridor vordrangen und etwa fünfzehn Meter entfernt um die Ecke bogen. Er bemerkte, dass aus einer der Bürotüren ein schwacher Lichtschein fiel. Sonderbar, wenn man bedachte, dass es keinen Strom mehr gab.
Er eilte zu dem Raum und spähte hinein.
Drei Computerbildschirme verbreiteten Licht. Auf einem Namensschild an der Tür stand VOCCIO . Das war der Mann, den er hatte
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