Die Washington-Akte
für ein paar Stunden aufhalten. Wahrscheinlich wissen sie inzwischen schon, dass ich eine Kopie der Datei an mich selbst gemailt habe.«
Er wartete, dass sie begriff, was er da gesagt hatte.
»Das heißt also, sie wissen, dass du hier bist«, sagte sie.
»Ich habe mich an der Rezeption unter falschem Namen eingetragen und bar bezahlt. Das hat mich einen Hunderter Trinkgeld gekostet, aber dafür musste ich unten meine Papiere nicht zeigen. Ich habe dem Mann am Empfang gesagt, ich wolle nicht, dass meine Frau erfährt, wo ich bin.« Er griff nach seinen Kleidern. »Als ich gestern diese E-Mail abgerufen habe, war mir klar, dass sie sie hierher verfolgen würden. Aber ich möchte gerne wissen, wer sie sind. Möglicherweise können sie uns zu Stephanie führen.«
»Du denkst, dass sie sich an dich ranmachen?«
»O ja. Ich vermute, dass sie schon unten warten. Die Frage ist nur, wie viel Aufmerksamkeit sie auf sich lenken wollen. Einen Vorteil haben wir jedenfalls. Es gibt einen Faktor, der ihnen unbekannt sein dürfte.«
Er sah, dass sie begriff.
»Genau. Nämlich dich.«
39
Washington, D.C.
Wyatt sah aus dem Fenster, als ein SUV auf den Parkplatz einbog. Keine weiteren Besucher hatten Carbonells Wohnung betreten, und die Selbstschussanlage war in Bereitschaft. Er hatte die Apparatur inspiziert und sich gefragt, ob vielleicht das Commonwealth sie dort angebracht hatte. Dies war zweifellos eine Vorrichtung, die der Vorgehensweise der Piraten entsprach. Aber das könnte auch genau der Grund gewesen sein, aus dem jemand anders diese Methode gewählt hatte. Carbonell hatte offensichtlich mit mehr als einer Partei ein doppeltes Spiel gespielt, und weder das Commonwealth noch die Geheimdienste würden glücklich über sie sein. Aber er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass sie den Anschlag vielleicht genau wie gestern Nacht selbst befohlen hatte.
Was dachte sie sich eigentlich?
Er beobachtete, wie Carbonell ausstieg. Die Innenbeleuchtung des Wagens zeigte, dass sie dieselbe Kleidung trug wie am Vortag. Sie sagte etwas zum Fahrer und ging dann zum Hauseingang. Ihre Wohnung lag im zweiten Stock, und die Haustür im Erdgeschoss war nicht abgesperrt. Der SUV wartete mit ausgeschalteten Scheinwerfern auf dem Parkplatz.
Wyatt trat zu dem Gewehr.
Die Ringschrauben waren äußerst erfinderisch geometrisch so angeordnet, dass beim Öffnen der Tür die Schnur zum Abzug langsam gespannt wurde, bis sie den Schuss auslöste. Die Waffe war ein Schnellfeuergewehr. Er hatte sie bereits überprüft. Sie war voll geladen, und die Kugeln würden reichen, um jeden, der eintrat und dann keinen Meter entfernt stand, zu zerfetzen.
Er überprüfte noch einmal die Spannung der Nylonschnur.
Straff wie eine Gitarrensaite.
War es von Bedeutung, ob Carbonell starb?
Cassiopeia schlenderte aus dem Lift in die Lobby des Jefferson. Sie hatte dort bereits angerufen und darum gebeten, ihr Motorrad zum Vordereingang bringen zu lassen. Bei ihrer Ankunft hatte sie es dem Parkservice übergeben.
Links von ihr, bei der Marmorstatue von Thomas Jefferson, die in der Mitte der Lobby aufragte, standen vier Polizisten.
Offensichtlich würde diese Begegnung nicht unauffällig verlaufen.
Sie bewegte sich langsam in ihre Richtung, vom Klacken ihrer Stiefel begleitet. Draußen, vor der Glastür, erspähte sie drei Polizeiwagen der Stadt Richmond. Wer immer Cotton gestern Nacht angegriffen hatte, hatte offensichtlich beschlossen, heute im Verborgenen zu bleiben und die Stadtpolizei vorzuschicken. Sie sah ein paar besorgte Gesichter von Gästen, die mit der Morgenzeitung, einer Aktentasche oder einem Rollkoffer durch die belebte Lobby gingen.
Aber sie beachtete sie nicht und machte sich ein Bild der Lage.
Die Lobby war L-förmig und riesig. Links von Cassiopeia schwang sich eine breite Treppe in ein Atrium hinunter. Es schien von Marmorsäulen gesäumt zu sein, doch bei näherem Hinsehen entdeckte sie, dass sie nur aus marmoriertem Gips waren. Die Decke war zwanzig Meter hoch und mit einem Oberlicht aus Buntglas versehen. Wandteppiche und eine Möblierung aus dem viktorianischen Zeitalter verstärkten das Gefühl, sich in einem Europa vergangener Jahrhunderte zu befinden. Auf der anderen Seite des zweigeschossigen Atriums erblickte sie neben einem Restaurant eine weitere gläserne Flügeltür nach draußen.
Sie legte sich einen Plan zurecht.
Ob sie das schaffen konnte?
Mit Sicherheit.
Es gab genug Manövrierraum.
Hale betrat das
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