Die Wasser des Mars
schnüren ihre Kehle zu. »Eine Atmosphäre unter derartigen gravitischen Bedingungen ist an sich schon ein Phänomen«, hört er sie flüstern. Schon oft haben sie in den vergangenen Tagen über das Ungewöhnliche diskutiert, aber am Vorhandensein einer Gashülle kann es keinen Zweifel mehr geben.
»Sie muß sich sehr stark von der Atmosphäre der Erde unterscheiden«, antwortet er. »Sicherlich besitzt sie eine sehr hohe Dichte und macht bei den stürmischen Umwälzungen enorme Energien frei.«
»Wir werden nie den Boden des Unheimlichen betreten, Herb.«
Er schüttelt den Kopf. »Nein, Ruuth, nie! Wir haben keine Möglichkeit, uns vor der Gravitation zu schützen. Nur auf der Umlaufbahn sind wir in der Lage, ihr zu trotzen, nur sie gleicht die ungeheuren Kräfte aus.«
Plötzlich wirft sie sich herum und klammert sich an seinem Hals fest. »O Herb! Ein ganzes Leben zwischen diesen Metallwänden gefangen zu sein. Das kann kein Mensch ertragen! Welchen Sinn hat das alles noch?«
Er hält sie fest, streicht ihr über das Haar und spürt, daß sie zittert. Langsam beruhigt sie sich, aber ihre Worte lassen ihn nicht los. »Gefangen« hat sie gesagt. Und leider ist diese Bezeichnung richtig.
Irgendwo im Rosengarten summt die Rufanlage. Luisa und Matoul bitten sie in die Zentrale.
Matouls Gesicht ist entspannt. Zum erstenmal seit Tagen ist die steile Falte zwischen seinen Brauen verschwunden. Er hat mehrere engbedruckte Blätter vor sich auf das Pult geheftet und fordert die beiden mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Sie ziehen sich auf die Sessel hinab und legen die Sicherungsgurte an. »Wir werden mit der Arbeit beginnen«, erklärt er. »Morgen setzen wir die ersten Forschungsroboter ab.«
»Wozu das?« flüstert Ruuth.
Matoul blickt sie konsterniert an. Wahrscheinlich hat er diese Frage zuletzt erwartet. Wortlos schiebt er den Stoß Blätter hin und her.
Auch Herb ist enttäuscht, jedoch nicht von Ruuths Reaktion, die erkennen läßt, wie hoch die psychische Belastung ist, nein, auch ihm erscheint jede Art von Forschungsarbeit so lange sinnlos, wie sie keinen Ausweg aus den Fängen der Gravitation gefunden haben. Aber noch mehr verdrießt ihn die Tatsache, daß Matoul mit keinem Wort erwähnt, ob seine Suche nach einer Rettungsmöglichkeit Erfolg hatte.
»Wir müssen arbeiten!« Matoul spricht zwar Ruuth direkt an, aber Herb weiß, daß seine Worte ihnen allen gelten. »Wenn wir die Hände in den Schoß legen, hören wir auf, Menschen zu sein. Spätestens nach einem Jahr werden wir verrückt. Und wißt ihr, was das bedeutet? Wir fauchen uns an wie wilde Tiere, jedes Wort des anderen geht uns auf die Nerven, weil wir es schon tausendmal gehört haben, jede seiner typischen Bewegungen bringt uns in Wut, jede Bemerkung legen wir als Provokation aus und reagieren entsprechend darauf.«
»Also eine rein therapeutische Maßnahme?« fragt Herb.
Matoul hebt die Schultern. »Wenn du es so nennen willst, bitte! Wichtig ist, daß du mitarbeitest, dich nicht ausschließt. Glaub mir, es ist die einzige Möglichkeit, Mensch zu bleiben.«
Wahrscheinlich hat er recht, sinniert Herb, und dann kommt ihm mit einemmal zum Bewußtsein, daß Matoul von einem Jahr gesprochen hat. »Spätestens nach einem Jahr werden wir verrückt«, hat er gesagt. Also rechnet Matoul damit, daß sie hier nie wieder wegkommen. Er hat keine Möglichkeit der Rettung finden können.
Herb öffnet die Haltegurte an seinem Sessel und schiebt sich ab. Als er unmittelbar vor der Tür ist, hört er Matouls Stimme. »Bleib bitte, Herb! Mach es uns nicht unnötig schwer. Ich weiß, wie dir zumute ist, glaub es mir.«
Herb ist erstaunt über die Art und Weise, in der Matoul spricht. Der fast bittende Tonfall paßt nicht zu ihm. Und da begreift Herb, daß das alles auch an Matoul nicht spurlos vorübergeht. Langsam wendet er der Tür den Rücken und schwebt zurück zum Pult. Auf dem Wege zu seinem Sessel greift er nach Matouls Hand und drückt sie kräftig.
Zwei Stunden später ist die erste Landefähre startbereit. Sie setzen die Sensorhelme auf. Herb rückt sich umständlich im Sessel zurecht. Er tut es mit bedächtigen Bewegungen, die den anderen deutlich machen, daß er weiß, wieviel in den nächsten Stunden von ihm und seiner Steuerkunst abhängen kann. Beim Aufsetzen des Sensorhelms prüft er mehrmals den exakten Sitz der Kontaktschale und schaltet erst dann den Adapter ein.
Je mehr er sich in den nächsten Minuten auf das Gerät
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