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Die Wasser des Mars

Die Wasser des Mars

Titel: Die Wasser des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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einstimmt, um so mehr hört er selbst auf zu existieren. Es ist eigenartig, ja beängstigend, zu spüren, wie der eigene Körper sich auflöst, immer mehr zu einem Fremdkörper wird und schließlich verschwindet. Herb hat das Gefühl, nicht mehr in der Zentrale zu sein, sondern im Steuerraum, exakt an der Stelle, an der die Landefähre noch immer auf ihren ersten Start wartet. Das unvermeidliche Angstgefühl, das bei der Einstimmung immer aufzutreten pflegt, stürzt ihn sekundenlang in Panik. Er fürchtet, den eigenen Körper unwiederbringlich zu verlieren, fürchtet, den monströsen technischen Körper der Fähre nie wieder verlassen zu können. Aber auch die Angst vergeht. Ein eigenartiges Doppelwesen ist entstanden, ein Zwitter aus menschlichem Hirn und einem komplizierten technischen Gebilde.
    Herb fühlt, daß sich die Empfindlichkeit seiner Sinne bis ins Extreme steigert, er fühlt, daß er Sinne besitzt, auf die er als Mensch bisher verzichten mußte, und er benutzt sie mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der er als Mensch seine Augen und Ohren benutzt.
    Er sendet einen Impuls aus, der die Schleuse des Laderaumes öffnet. Langsam schiebt er sich auf den breiten Gleisbändern seines Transporters in die Kammer, orientiert sich über die Bahnparameter, über Fluglage und Richtung und zündet das Starttriebwerk. Mit einem Ruck löst er sich vom Transporter und wirbelt, sich überschlagend, in die Tiefe. In kurzen Stößen zündet er die Korrekturtriebwerke und stabilisiert seine Lage im Raum.
    In diesem Augenblick spürt er ein Saugen im Hirn. Es ist, als entstehe ein Unterdruck unter der Schädeldecke, und Herb weiß, daß sich einer der Kameraden passiv in die Verbindung zur Fähre eingeschaltet hat. Für einen winzigen Augenblick wird er erneut zum Menschen Herb, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann sind seine Sinne wieder die Sensoren der Landefähre, sind Teleoptik, Mikrofon und Infrasichter, Beschleunigungsmesser und all die tausend Geräte, die menschliche Technik in das Fahrzeug installiert hat.
    Herb läßt sich fallen. In einem Sturz, dessen Geschwindigkeit sich ins Extreme steigert, rast er auf die marmorierte Oberfläche des Unheimlichen zu.
    Unter ihm dreht sich mit der Gemessenheit einer fremden Galaxis ein ausgedehnter Sturmwirbel. Die riesige Scheibe, die aus einzelnen ineinanderfließenden Ringen zu bestehen scheint, bietet in ihrer Abstufung zwischen einem reinen Weiß und einem schmutzigen Grau einen prachtvollen Anblick, aber Herb weiß, daß dabei die Entfernung täuscht. Dort unten muß die Hölle los sein. Langsam und unmerklich verändert sich der Wirbel, so langsam, daß sich Herb genau auf eine Stelle konzentrieren muß, um das Fließen überhaupt feststellen zu können.
    Da beginnen schlagartig die Außentemperaturen zu steigen. Herb fühlt, wie die Atmosphäre, die zum größten Teil aus Methan besteht, an seinen glatten Wänden zu reiben beginnt. Minutenlang beobachtet er die Meßfühler. Noch besteht keine ernsthafte Gefahr. Er bereitet vorsichtig die Steuerflossen aus und läßt sich hinauf in dünnere Luftschichten tragen, so lange, bis die Strömung auf den Flächen abreißt und er erneut fällt. Für kurze Zeit kühlen sich die Außenwände ab. Beim zweiten Eintauchen ist er bereits so weit abgebremst, daß das Jaulen und Pfeifen der Atmosphäre leiser geworden ist. Aber dann steigt die Temperatur erneut.
    Er fühlt, daß Matoul Kontakt zu ihm sucht, und weiß, daß er es war, der durch seinen Versuch, sich in die Verbindung zu drängen, die Landung in Gefahr gebracht hat.
    »Druck und Temperatur steigen!« hört er Matouls Gedanken. »Zieh die Maschine hoch, Herb! Nicht tiefer! Das Material hält nicht stand.«
    Herb verändert die Kontaktfrequenz. Er muß es tun. Matouls Gedanken drohen die Verbindung zur Landefähre zu zerreißen. Er hat keine andere Wahl und wirft deshalb den anderen aus der Funkstrecke.
    Als er erneut konstanten Kontakt gefunden hat, sind die Drücke so angestiegen, daß höchste Gefahr für die Fähre besteht. Aber noch denkt er nicht daran aufzugeben. Es hat keinen Sinn, sich in den höchsten Atmosphäreschichten des Unheimlichen in Sicherheit bringen zu wollen, irgendwann muß er landen.
    So stürzt er sich mitten hinein in den Wirbel, und er hat Glück. Die Drücke fallen schlagartig, als er die ersten Turbulenzen hinter sich läßt. Langsam kommt der Boden näher. Er ist immer noch grau. Grau in allen nur denkbaren Schattierungen.

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