Die Wasser des Mars
Herb.« Matoul wendet sich ab, starrt auf die Instrumente und schweigt, wie er es gern tut, wenn ihn etwas sehr beschäftigt. Schließlich legt er die Hand über die Augen und läßt die Schultern sinken.
Herb stört ihn nicht, er weiß, daß Matoul erst wieder zu sich selbst finden muß. Aber seine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt.
Es dauert lange, ehe Matoul zu sprechen beginnt. »Ich habe tagelang gerechnet, Herb. Aber…« Er unterbricht sich, als fände er nicht die richtigen Worte, schweigt wieder eine Weile und richtet sich schließlich auf. Es wirkt theatralisch, als er sich mit den gespreizten Fingern der Rechten durch das Haar fährt und tief einatmet. »… zu einem vernünftigen Ergebnis bin ich nicht gekommen«, fährt er fort. »Ich weiß, daß wir eine Chance haben, vielleicht nur eine einzige, aber um sie zu ermitteln, bin ich gezwungen, meine Berechnungen zu wiederholen, ganz von vorn und unter anderen Aspekten.«
»Die Aspekte haben sich nicht geändert, Matoul!«
Der Mathematiker schüttelt den Kopf. Er hat die Augen geschlossen, und sein Gesicht sieht zerquält aus. In den vergangenen Tagen hatte er sich von allem ausgeschlossen und nahezu ununterbrochen gearbeitet. Wie muß es ihn treffen, daß er keine Lösung gefunden hat. Vielleicht zum erstenmal in seinem Leben steht er vor einer Situation, für die es kein gültiges Modell gibt, kein Modell, das ihre Besonderheiten eindeutig erklärt, kein Modell, das eine erfolgversprechende Anleitung zum Handeln bietet.
Erst jetzt begreift Herb, was in Matoul vorgehen muß, erst jetzt wird ihm klar, weshalb Matoul darauf bestand, die Erkundung unverzüglich aufzunehmen, obwohl sie nichts in so überreichem Maße haben wie Zeit. Matoul sucht nach neuen Fakten, mit denen er ein neues Modell aufbauen kann, und er sucht ebenso planlos wie verzweifelt.
Und Luisa? Wie nimmt sie Matouls Hilflosigkeit auf? Herb beobachtet sie aus den Augenwinkeln. Er sieht, daß sie Matoul anblickt. Ihre Augen sind groß und starr, wie sie oft in den letzten Tagen waren, ihr Mund ist schmal und zeigt grenzenloses Erstaunen.
Herb erkennt, daß Luisas Verhältnis zu Matoul anders ist, als er bisher angenommen hat. Er weiß jetzt, daß Luisa immer zu Matoul aufgeblickt hat und nie umgekehrt. Jetzt begreift er, wie sehr sie Matouls Versagen schmerzen muß, vielleicht mehr, als Matoul ahnen mag.
Und plötzlich tut sie ihm leid. Er steht auf, zieht sich hinüber zu Matouls Sessel und legt ihm beide Hände auf die Schultern, die knochig und schmal sind wie die Schultern eines Fünfzehnjährigen. »Fang von vorn an, Matoul!« sagt er. »Rechne ein zweites und vielleicht auch ein drittes Mal, aber rechne! Versuch es immer wieder! Wir müssen eine Möglichkeit finden, diesem Stern zu entrinnen. Nur du kannst dazu die Grundlagen schaffen.«
Matoul stemmt sich aus dem Sessel, und obwohl Schwerelosigkeit herrscht, sieht es so aus, als bereite ihm die Bewegung Anstrengung. Langsam schwebt er zur Tür. »Und bis dahin, Herb?«
»Wir werden weiterarbeiten, Matoul«, erwidert Herb. »Sogar wenn sich herausstellen sollte, daß wir ewig Gefangene des Unheimlichen bleiben, werden wir weiterarbeiten.«
Zum erstenmal seit Tagen verzieht Matoul den Mund zu einem Lächeln. Dann schließt sich die Tür ihm.
Und zum erstenmal seit Tagen ißt Herb an diesem Abend mit ausgezeichnetem Appetit, auch wenn er hinterher nicht sagen kann, was er eigentlich gegessen hat.
Erst spät in der Nacht, als sich Ruuth, von den Anstrengungen des Tages völlig erschöpft, an ihn schmiegt, steht die Wirklichkeit wieder vor ihm auf.
Sie bringen die nächsten beiden Tage damit zu, in der größten an Bord befindlichen Landefähre ein neues Adaptionssystem zu installieren, ein Netz von Barosensoren, das die Oberfläche des Fahrzeuges wie mit Spinnweben überzieht. Damit schaffen sie sich ein Sinnesorgan, das auf Druckschwankungen in der Atmosphäre des Unheimlichen reagiert, wie das Auge auf das Licht, das Ohr auf Schallschwingungen.
Ruuth schaltet den neuen Komplex, den sie Baronik nennen, ein. Herb beobachtet den kleinen Monitor an der Stirnwand des Laderaumes. Das Bild auf dem Schirm ist zuerst nur eine glatte und konturenlose helle Fläche, aber bereits die geringste Handbewegung Ruuths läßt sie in einem Schauer huschender Linien und Wellen erbeben. Als Ruuth dann die Hand mit gespreizten Fingern in unmittelbarer Nähe eines Barosensorenkomplexes vorbeiführt, zeigt der Bildschirm eine Serie von
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