Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
moralische Entrüstung der Wewerka über Chwostik’s Treiben vorläufig latent. Sie hielt es wie die Polizei; sie tolerierte und schwieg zunächst; freilich auch dem Hausherren gegenüber, den man zudem hier noch höchst selten zu sehen bekommen hatte.
    W as wir wissen, wußte Chwostik auch. Mindestens aber dies, daß ein Hinauswurf der Frauen mit Sicherheit eine hintennach erfolgende Anzeige wegen Kuppelei durch die Wewerka nach sich gezogen hätte, wobei das Knollengewächs wohl in der Lage gewesen wäre, darzutun, daß der Hinauswurf auf ihr Drängen hin erfolgt sei, nachdem sie das Unwesen in Chwostiks Wohnung einmal zweifelsfrei festgestellt hatte. Zudem: die Polizei glaubte damals einer Hausmeisterin mehr als jedem anderen Menschen.
    Was wir wissen also, wußte auch Chwostik. Er lag schmal in der Mitte, gleichsam eingekeilt, und trennte die Lager greulicher Wollust; etwa wie ein säuerlich-verkniffener Zug, eine scharfe Falte, mitunter ein Antlitz zu teilen vermögen. Ein Teil-Strich, aber kein ausschlag-gebendes Zünglein an der Wage, leider: ein solches bildete nur die Wewerka.
    Am ärgerlichsten wurde die ganze Sache erst Jahre später, als seine Position bei Debrössy bereits sehr gesichert war (das Geschäft hing schon geradezu von ihm ab), und Chwostik der Zuschüsse aus dem Mietverhältnisse Finy’s und Feverl’s längst hätte entraten können. Das Verhältnis zur Wewerka blieb immer ein freundliches. Nach seinem Stellungswechsel lag ihm nun Milo in den Ohren. Allmählich stumpfte Chwostik dagegen ab. Eingeklemmt, wie er lebte und lag, betäubte er sich nun geradezu in der Arbeit, blieb so lange im Bureau als irgend möglich und fiel abends todmüde in’s Bett. Nun merkte er wirklich nicht mehr, was links und rechts von ihm vorging. Den sonntäglichen Kirchgang behielt er bei. Aber den Sonntag-Nachmittag verbrachte er jetzt geteilt bei zwei Sprachlehrern. Damals, während des ersten Jahres bei Clayton & Powers, ist es auch gewesen, daß Chwostik sich in’s Technologische warf und, wann immer es möglich war, sich im Werke selbst umtat – sehr zum Unterschied von seinem Verhalten bei Debrössy, wo ihm die 365 Heiligenstanzen wenig zu sagen gehabt hatten. So kam es dann, daß die Kanzlei der Maschinenfabrik unter Chwostik’s Leitung garniemehr Fehler im Technologischen machte (was sonst leicht vorkommt, und auch hier zu Anfang vorgekommen war), weil Chwostik schlechthin alle überhaupt möglichen Positionen, Apparate, Combinationen und das ganze Zubehör anschaulich und auswendig jederzeit im Kopfe hatte.
    Es hätte nicht Milo’s bedurft, um ihm das Indiskutable seiner häuslichen Verhältnisse zu zeigen. Es bedurfte anderseits geradezu der Artung Chwostik’s, um durch so viele Jahre in solchen Umständen zu bleiben, wahrhaft tolerierend, und zuletzt nicht anders darauf reagierend als mit einem säuerlichen Seitenblick.
    M orgens um halb sechs rollte ein Güterzug langsam auf die Brücke hinaus, deren schmaler Strich hier hoch über dem sogenannten Donau-Kanal (einst der Hauptstrom) stand: alsbald gleichsam verdickt durch den Zug, waagrecht besäumt von weißen Watteballen ausgestoßenen Dampfes. An einer bestimmten Stelle, bevor die Maschine sich dunkel auf die Brücke hinausschob, pfiff sie. Chwostik hörte es jetzt im Sommer täglich. Seine Fenster standen offen. Er war um diese Zeit längst auf. Es war seine einzige freie Zeit geworden während des ersten Jahres bei Clayton & Powers. Mr. Clayton hielt einen allzufrühen Arbeitsbeginn in der Kanzlei für unnötig. Ihm genügte es völlig, wenn die Angestellten um halb neun erschienen. Nur die Putzfrauen mußten um sieben Uhr da sein, um gründlich zu lüften und sauber zu machen. Chwostik ließ jeden Morgen im Sommer frühzeitig die ihm wenig liebe Behausung hinter sich und ging spazieren. Meistens kurz nach sechs, wenn die Wewerka eben das Haustor aufsperrte. Freundliche Begrüßung: „So zeitlich schon, Herr Chwostik?!“ Fast jedesmal.
    Fünf Uhr dreißig also fuhr der Zug über die Brücke und weiter auf dem Viadukt gegen den sogenannten Praterstern zu.
    Die Auen lagen leer. Es gab Leute, die ähnliche Gewohnheiten hatten wie Chwostik und sich vor dem Tagesbeginn Bewegung machten: nur in nobilitierter Weise; auf den Reitbahnen, links und rechts der Hauptallee, spritzte die herb duftende Gerberlohe in rötlichen Brocken unter dem Hufschlag.
    Auch die Gassen lagen noch leer. Chwostik ging keineswegs immer nur in den Prater. Er ging auch

Weitere Kostenlose Bücher