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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
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die bestrahlte Straße, und sein Zimmerchen wurde ihm sehr erwünscht, das, nicht gegen die Razumovskygasse, sondern nach rückwärts gelegen, mit dem Fenster in den Gräflich Seilern’schen Park sah. Selbst der Prater konnte ihm Schmerz bereiten, und in der vielen freien Zeit, die er hatte, stand er jetzt oft ratlos und ohne Zug und Beziehung in irgendeine Richtung, etwa auf einem weiten Rondell an der Hauptallee, das leere Bänke an seinem Rande unter den rosa oder weiß illuminierten Kastanienbäumen bot, dort, wo die breite Avenue zur ,Rotunde‘ führte, einem Gebäude, das von der Weltausstellung im Jahre 1880 stehen geblieben war und viel später glücklicherweise abgebrannt ist.
    In solchen Augenblicken, die keinen Anfang und schon garnicht irgend einen Schluß und Entschluß hatten, in der hohlen und leeren Hand der Zeit stehend, möchte man sagen, sah er vor sich auf dem gekiesten Boden jedes vom Baum gefallene Zweiglein.
    Der M.C. legte sich zum übrigen. Was blieb, war die Lerngemeinschaft, der praktische Zweck. Aber damit war die Sache vorbei, und jene erste zarte hoffnungsvolle Weiche in ein freieres Geleise – einst von den ahnungslosen Engländern gestellt – lag weit dahinten auf der Strecke, sie war auf der Strecke geblieben, wahrlich im Doppelsinne des Wortes. Ein einstiges dumpferes Dasein vor ihr, dort hinten und unten, schien im Dunklen versunken. Das Leben begann mit dem großen Bilde der Eisenbahnbrücke über den Firth of Forth, beim Hindurchgehen, Zimmer auf Zimmer, in den Frehlingerischen Salons. Lange hatte man keine weiße Nelke mehr in einer kleinen Vase vor des alten Staatskanzlers Memoiren in Hofmock’s Zimmer gestellt. Nichts zerfällt rascher als der Duft einer Zeit, welcher ja erst all ihre Einzelheiten zusammenhält: und so vieler bedarf es zugleich, damit solch eine Aura sich bilde! Jetzt glänzte alles schön geordnet, aber der Hauch blieb verschwunden.
    Inzwischen war die Tante Vuković nach Wien gekommen, wohnte im ,Imperial‘ und kam viel mit den Eltern zusammen. Bei dieser sechzigjährigen Dame hatte man stets das Gefühl, daß sie Schaftstiefel trage, und vielleicht trug sie solche auf ihrem Gute in Kroatien wirklich. Für Zdenko wurde das Wesen seiner Mutter, der Frau von Chlamtatsch, vor solchem körnigen Hintergrunde erst eigentlich recht sichtbar. Es gehörte die Frau Sektionschef nicht zu den Menschen mit hohem Sichtbarkeitsgrad und starker Raumverdrängung; auch uns ist sie bisher nicht in die Quere gekommen. Und niemandem. So etwas konnte bei Eugenie Chlamtatsch garnicht passieren.
    Man findet solche Frauen oft, ja fast immer, mit sehr gegenteilig gearteten Männern behaftet, fühlbaren Raumverdrängern und natürlich dabei auch Apperceptions-Verweigerern, was beides meist zusammengeht, nie aber mit einer Intelligenz verbunden ist, die sich selbst eingeholt und in den bewußten Besitz ihrer selbst sich gesetzt hat. Das gibt es freilich nicht bei diesen ,starken Persönlichkeiten‘, die übrigens oft durch einen ordentlichen Patzen Grobheit, wenn er zur rechten Zeit fallen gelassen wird, sozusagen über Nacht kuriert werden können.
    Zu dieser Sorte gehörte der Sektionschef nicht, sondern merkwürdigerweise zur gleichen Zunft wie Zdenko’s Mutter, so daß die beiden Teile des Ehepaares vielfach in undeutlicher Weise mit einander verschwammen und verschmolzen: Menschen, die so regulär gelebt hatten, daß sie an die Grenzen der Convenus ihrer Schicht niemals auch nur im leisesten angestreift waren, vom Überschreiten ganz zu schweigen. Aber sie betonten zugleich, wenn auch nur leicht, daß sie nichts davon hielten. Dies war gewissermaßen die letzte Zuflucht ihres selbständigen Existierens. Notwendig mußte dies auf eine skeptische Versäuerung von allem und jedem hinauslaufen, und auch dessen, was sie tatsächlich gelebt hatten und lebten. Chlamtatsch war ein großer eleganter schlanker Mann, vielseitig gebildet und ein exzellenter Verwaltungsjurist. Er hätte es im letzteren bald mit dem berühmten und bei Staatsprüfungen hochgefährlichen Professor Bernatzik aufnehmen können, wenn auch nicht hinsichtlich der schlagfertigen Bissigkeit. Aber auch ohne diese bot seine Erudition genügende Mittel zur Ausübung der Skepsis. Bei der Gattin hallte diese dann nach. So blaßte denn das Ehepaar vor sich hin, und es ist dabei, wenn man von Zdenko absieht, ebenso wenig herausgekommen wie bei den starken Persönlichkeiten mit ihren lästigen und langweiligen

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