Die Wasserfälle von Slunj
einer Pauke, von dumpfem Donner gerührt. Aus dem finsteren Block des einher reitenden Regiments stachen die geblasenen Signale wie Blitze aus Gewitterwolken. Wenige Augenblicke später setzte das Geknatter der Infanterie ein – und auch schon wieder aus. Es war abgeblasen worden. Die Cavallerie kam zum Stehen und wurde ausgeschieden.
Was war hier schon groß? Aber Illek erlebte den fiktiven Untergang dieses so finster und ausgedehnt am Horizont erschienenen Reiter-Regimentes durchaus als den eines einzelnen Wesens, zu welchem ihm das Regiment geworden war, eines übermächtigen Geschöpfes, das doch hier sein Ende und seinen Zusammenbruch fand, wozu ja er, Illek, mit der Trillerpfeife das empfangene Signal weitergebend, für sein Teil auch beigetragen hatte.
Darüber empfand er sofort einen tiefgehenden Schmerz, und er empfand ihn heute noch, wenn er daran dachte, und konnte dann nur den Kopf schütteln.
Es war ja ein Manöver gewesen.
Gleichwohl.
Sie kam nicht. Illek ging achtsam durch die Räume, sah überall hin. Dann verschloß er alles mit Sorgfalt. Unweit, in einem kleinen alten Häuslein, wohnte der Nachtwächter, der außer dem Museum noch andere Objekte hier in der Nähe bewachte. Illek bat ihn, einmal herüberzusehen. Sie vertraten einander oft in solcher Weise. Dann ging er wieder zurück, am Museum vorbei, zur csárda, im Grünen, unter den alten Bäumen hin.
Es war eine angenehme Gegend hier, eine ,gute Gegend‘, wie man zu sagen pflegt, die allmählich zum ausgebreiteten und verstreuten Villenviertel wurde. Illek ging fast nie in die Stadt, es sei denn mit einem Dienstauftrag des Custos’. Das Essen brachte ihm die Frau des Nachtwächters (die auch bei ihm aufräumte) oder er nahm es gleich drüben in ihrer Küche ein. Weder schwere Arbeit drückte auf sein Dasein, noch Sorgen oder Angelegenheiten verschiedener Art. War Kanzlei-Arbeit im Museum zu tun, dann besorgte er sie mit seiner korrekten Unteroffiziers-Schrift genau wie es ihm der Doctor angab, der vorkommende Fremdwörter oder lateinische Ausdrücke dabei immer deutlich für ihn auf ein Blatt Papier schrieb. Eine Schreibmaschine besaß das Museum nicht. Briefe in’s Ausland, etwa in englischer, deutscher oder französischer Sprache, die notwendig wurden, um eine erbetene wissenschaftliche Auskunft zu erteilen, schrieb der Doctor mit eigener Hand.
Ein im Waisenhause aufgewachsener Mensch ist allermeist nahezu familienfrei, was eine Reduktion von gut achtzig Prozent der sonst im Leben üblichen Zwischenfälle bedeutet, auch ein Wegfallen der unfruchtbarsten Correspondenzen, die es gibt, der familiären nämlich. Illek schrieb fast nie einen Brief, erhielt auch keinen. Er wäre übrigens sehr wohl imstande gewesen, saubere Briefe aufzusetzen und auszufertigen. Aber es bestand, außerhalb seiner Kanzleitätigkeit, dazu kein Anlaß.
So höhlt sich vor unseren Blicken allmählich die stille Bucht, in die unser einstmaliger Honvedfeldwebel geraten war und darin er schon lange gelebt hatte, bis eines Tages, wie ein prachtvolles Schiff mit vielen Lichtern und Wimpeln, Margot Putnik vor dieser Bucht erschien, beidrehte und Anker warf.
Nur ein Leben, das wirklicher Leere lange und mit Geduld fähig war, kann von solcher Fülle überrauscht werden.
V or der csárda sah Illek ein Autotaxi stehen und dann im Garten drinnen das Paar in einer Ecke, doch blickte er sogleich weg, wie jeder anständige Mann, wenn er Liebesleute sieht, und wählte einen entfernten Platz.
Sie war nicht gekommen. Meistens kam sie ja – nicht, und zwischen zweien ihrer Erscheinungen vergingen oft acht, ja manchesmal vierzehn Tage. Mitunter, aber selten, kam sie mehrere Tage hintereinander. Jedesmal, wenn sie erschien, war es für Illek ein Fall, der unter besonders glücklichen Bedingungen gerade dieses eine Mal noch hatte zustande kommen können. Es hing sogar von ihm selbst ab. Wenn er ihr Ausbleiben hin nahm, nicht auf sie unten in der kleinen Vorhalle des Museums schon wartete, sondern langsam durch die Schauräume wandelte und keineswegs ärgerlich war über Besucher, die sich da noch aufhielten: dann trat sie plötzlich hell um eine Ecke. Er durfte sie nicht anreden. Er verbeugte sich und trat beiseite und sie ging an ihm vorbei. Wenn er dann durch die Säle schritt und rief: „Schluß, bitte, meine Herrschaften!“ kam sie ganz zuletzt, und wenn alle das Gebäude bereits verlassen hatten, trat sie in sein Zimmerchen; und hier durfte er sie umfangen. Es war
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