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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
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erhielten sie nach einer nochmaligen Untersuchung von ihm selbst, und er ging dann mit den beiden Frauen durch einen langen halbdunklen weißgekalkten Gang zum Bureau des Polizeirates. Als günstig erwies sich, daß sie nicht in Wien bleiben, daß sie den Ort wechseln wollten.
    Bei alledem war’s Finy und Feverl zu Mute, als hätten sie einen umfangreichen Fremdkörper geschluckt. Er war nicht eigentlich benennbar und bestand nicht aus konkreten Einzelheiten, obwohl es jetzt deren genug gab, gemessen an der bisherigen Simplicität und Untätigkeit ihres Daseins: die Gänge auf die Polizei (so ganz einfach wird man das ,gelbe Büchel‘ ja nicht los), die Besorgung fester Schuhe für den Landgebrauch, die Aufkündigung des Schlafställchens – hier hatten sie, was sich jetzt als ein glücklicher Umstand erwies, monatlich die Miete bezahlt, immerhin also noch für den ganzen Juli voraus – endlich der Einkauf eines Koffers, und noch anderes . .. Aber es war nicht dieses zerlegbare Mosaik von Einzelheiten, was sie eigentlich einnahm, sie gingen nicht darin auf. Ihnen beiden unbewußt wurden sie von den schon mehrmals genannten zwei Grundqualitäten ihres bescheidentlichen Daseins vor solchem Gezappel bewahrt, und sie zehrten jetzt gleichsam von den alten und angesammelten Vorräten an Leere und Gleichgültigkeit, welche ein Leben ihnen hinterlassen hatte, das sozusagen fast ganz ohne ,Angelegenheiten‘ verlaufen war; und um so eher, und mit fruchtbarem Befremden, und keineswegs ohne Staunen spürten sie jetzt das Neue, welches hier eintrat: sie verstanden sehr gut dessen hautnahe Mahnung und hatten Gehör und Gefühl für die Angel, in welcher eine Tür sich drehte, die ihnen aufging, während eine andere sich schloß. Sie ertrugen diesen Zustand mit Geduld, gehorsam und ohne zu fragen. Sie blickten nicht mehr in die verlassene Möglichkeit, die es ja jetzt wirklich nicht mehr für sie gab, seit sie sich einmal eingelassen hatten. Und so, im ganzen, schwammen sie wie zwei nebeneinander in’s Wasser gefallene Blätter an der Oberfläche, augenlos über der Tiefe, doch auf ihre primitive Art von ihr wissend. Man könnte wohl sagen: Feverl und Finy oder Finy und Feverl reagierten auf die neuen Dinge nicht sachlich nur, sondern gewissermaßen auch lyrisch.
    Lyrisch auch ihr Schmerz wegen des gestörten Badens. Das Blau des Wassers in der Militär-Schwimmschule unten im Prater war ein Verlust, und der größte blieb jetzt das Entschwundensein jener in sich selbst ruhenden, tief gleichgewichtigen und auf nichts anderes hin bezogenen Stunden zwischen Sonne, Holzdunst der Bretter und Wasserplantsch.
    Sie gingen noch einmal hin. Aber sie sanken nicht mehr ganz bis auf den Grund dieser einstmaligen Schale ihres Daseins, welche sie so flach und freundlich untergriffen hatte und jetzt schon aufglänzte, wie von seitwärts gesehen und aus einiger Entfernung. Danach noch einmal in die Adamsgasse – bei Tageslicht! – um ein paar geringe Kleinigkeiten zu holen, Dinge des Toilettegebrauches, welche sie immer dort gelassen hatten.
    Ein ahndungsvoller Drache fuhr aus dem Loch.
    Sie sagten ganz schlichthin ihr Verslein: daß sie nur gekommen seien, um dies hier zu holen, und daß sie nun nicht mehr kommen würden.
    (Obwohl sie doch auch hier bis Ende Juli bezahlt hatten).
    Auch in diesem Falle erhellte kein Begreifen die gespannte Beiß-Physiognomie der Wewerka. Immerhin, als Finy und Feverl jede einen Gulden darreichten, kam eine Greifklaue nach vorn.
    Und dann gingen sie. Die Wewerka trat ihnen nach durch’s geöffnete Haustor und sah sie am Gehsteige mit wackelnden Popos davonzotteln. Angesichts des Unbegreiflichen entrang sich ihr raunender Urlaut: „Čert vás vem, vy starý kurvy, stejně už žádnýho chlapa sem nezatáhnete“. Übersetzung ist nicht statthaft (für gelernte Österreicher wäre sie zudem überflüssig).
    M orgens um halb sechs fuhr jeden Tag ein Zug irgendwo in der Ferne vorüber und pfiff; sein Rollen blieb eine Weile hörbar.
    Das Zimmer, in welchem sie, unterm Dach eines Wirtschaftsgebäudes und über der Wagen-Remise, jetzt wohnten, war von geradezu enormer Ausdehnung, mit blankgeriebenem Fußboden, und wirkte fast leer. Es gab einen großen weißen Ofen in der Ecke, zwei ungetümliche Schränke, die gelb gestrichen waren, den Tisch mit zwei Sesseln in der Mitte, und an den Schmalseiten links und rechts je ein Bett, vom Format der Schränke, samt Nachtkastl und einem Kerzen Leuchter darauf, welcher

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