Die Wasserfälle von Slunj
Zdenko. Sie lachten beide. „Der Weidler hätte vielleicht Platz drinnen“, meinte Frehlinger. Weidler war der Kleinste in der Klasse. Zdenko gefiel es, daß oben Glas-Stöpsel in die Retorten eingeschliffen waren.
Sie wandten sich dem von Frehlinger vorbereiteten einfachen Beispiele zu. Heinrich hängte zwei dünne Drähte an den Schmalseiten des Glasbeckens einander gegenüber in das Wasser. Sie waren von Isoliermaterial umhüllt, nur vorne sah etwa ein Centimeter des blanken Metalles hervor. „Im Wasser ist Salmiaksalz“, sagte Frehlinger. „Ich lasse jetzt einen sehr schwachen Strom hindurch.“ Damit legte er auf der rechten Seite des Schaltbrettes ein Hebelchen um. „Wir müssen ein wenig warten“, bemerkte er noch und lachte.
Zdenko stand neben dem Werktische und sah in die Ferne hinaus, die doch eigentlich keine war, nicht hingebreitet und im beruhigteren Blicke gleichsam verhallend, sondern eigentlich überall wieder nah und aufgeregt, mit unregelmäßig durcheinander geräumten Blocks von Häusern und Fabriken. Unter einem gewaltigen Glasdach erstrahlte jetzt ein blendendes blaues Licht, welches durch Sekunden den Nachmittag wie Dämmerung erscheinen ließ. „Was ist das?“ fragte Zdenko, aber es war nur eine übernommene Form des Fragens, keine Frage, sondern eine Art des Benehmens. Er wollte das, wonach er nun gefragt hatte, eigentlich garnicht wissen. Es genügte ihm das blaue Leuchten. Es genügten ihm die in’s Auge fallenden Erscheinungen des Kontinents, wo er gelandet war. Der Zusammenhang von Einzelheiten war gewissermaßen Sache der hiesigen Bewohner, nicht seine. Man sieht, daß diesem Zdenko jede Sachlichkeit in bezug auf hier wirklich fremd war. Er ist auch nie ein Ingenieur oder Naturwissenschaftler geworden, sehr zum Unterschiede von Frehlinger, der späterhin, und in einem gänzlich gewandelten Zeitalter, zu den Koryphäen der Physik gehörte. Zdenko jedoch wurde in den neuen Erdteil nicht hineingezogen. Aber die Anziehung, die Gravitation war doch mächtig.
„Ich glaube, es ist vom Schweißen, dieses Licht“, sagte Frehlinger. „Die arbeiten jetzt immer auch sonntags. Genau weiß ich’s nicht, es kann auch was anderes sein.“
„Gegenüber vom Gymnasium, hinter den Gärten dort, sieht man manchmal so ein Licht, wo das hohe Haus ist, es hat auch eine Art Glasdach“, meinte Zdenko.
Frehlinger nickte. Das sei was anderes, sagte er; eine photographische und lithographische Anstalt. Löwy & Co. Sie erinnerten sich jetzt mit Vergnügen daran, daß in der vierten Klasse, als während der Stunde von elf Uhr bis mittags Goethe’s Ballade ,Der Schatzgräber‘ gelesen worden war, gerade bei jener Stelle „Und er sah ein Licht von weitem, eben als es zwölfe schlug“, das Bogenlicht bei Löwy & Co. drüben erstrahlte, während gleichzeitig der Hilfsdiener Zechmann die Glocke läutete, welche das Ende einer Unterrichts-Stunde anzeigte: worauf die Klasse in ein schallendes Gelächter ausgebrochen war, sehr zum Erstaunen des Professors, der von seinem Platze am Katheder die Lichterscheinung garnicht hatte wahrnehmen können.
„Die gleiche Farbe“, sagte Frehlinger, und wies auf das große Glasgefäß am Werktische.
In der Tat war hier inzwischen die farblose Lösung blitzblau geworden.
„Was ist hier vorgegangen?“ fragte Frehlinger und lachte.
„Irgend eine Elektrolyse“, sagte Zdenko, und war sich des Fragwürdigen und Schwindelhaften seiner Antwort bewußt. Diese war so wenig eine Antwort wie seine Frage früher – bei Erscheinen des blauen Lichtes unter dem Glasdach – eine Frage gewesen war.
„Was unterlag der Elektrolyse?“
„Die Flüssigkeit, offenbar.“
„Glaube ich nicht“, sagte Frehlinger und lachte. „Wenn aber nicht die Flüssigkeit, was dann?“
Hier wußte der junge Herr von Chlamtatsch keine Antwort mehr.
„Das Salmiak-Salz verändert sich nicht beim Durchgang des elektrischen Stromes. Sonst könnte es nicht für die Elemente verwendet werden, mit denen jede Türklingel betrieben wird. Das Leclanché-Element aber ist ein konstantes Element, es gibt einen konstanten Strom. Hier hab’ ich zwanzig solcher Dinger – “ er deutete auf den Boden hinter dem Werktisch, wo zwei geschlossene längliche Holzkistchen standen, übereck der Wand entlang – „sie liefern eben jetzt den Schwachstrom, der hier durch die Flüssigkeit geht. Du siehst, das Blau ist inzwischen noch dunkler geworden. Wodurch? Infolge eines Nebenumstandes, den wir selbst
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