Die Wassermuehle
nicht paradox, dass ausgerechnet du dich für den Erhalt des Klammbielschen Familiensitzes stark machst, wo du alles darangesetzt hast, das Erbe deiner Eltern bis auf den letzten Cent zu verschleudern?“
Vivienne schluckte. „Wenn du glaubst, dass alles wieder so werden wird wie früher, täuschst du dich. Selbst wenn Hedi dir zuliebe auf das Haus verzichtet: Dass du damit glücklich wirst, wage ich zu bezweifeln.“
„Was verlangst du von mir? Soll ich meine Frau anflehen, die Bruchbude zu behalten, weil ich so gern getrennt von ihr lebe?“
„Du könntest zu ihr ziehen und bei der Renovierung helfen.“
„Wenn du mir nicht mehr anzubieten hast, hättest du dir den Weg sparen können. Davon abgesehen, habt ihr sowieso keine Wahl. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das Ding zwangsversteigert wird.“
„Du könntest es verhindern.“
„Willst du jetzt etwa mich anpumpen?“, fragte Klaus verärgert.
„Nein. Das Einzige, worum ich dich bitte, ist, deiner Schwägerin klarzumachen, dass ich für meine Verbindlichkeiten aufkommen werde. Und dass sie Hedi in Ruhe lassen soll.“
„Es gibt noch ein paar mehr Gläubiger, die sich kaum mit netten Worten begnügen werden, oder?“
„Du könntest die Mühle kaufen.“
„Ich glaube, ich habe mich verhört.“
„Ich meine das ernst. Noch ist keine Hypothek eingetragen.“
„Du hast sie ja wohl nicht alle.“
Viviennes Lippen zitterten. „Entschuldige. Ich muss gehen.“
Er hielt sie an der Schulter fest. „Du brauchst Geld, und dir ist kein Mittel zu mies, um es zu bekommen. Deshalb bist du hier, stimmt’s?“
Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Warum mache ich immer alles falsch?“ Weinend lief sie aus dem Zimmer.
An der Haustür holte Klaus sie ein. „Ich hab’s nicht so gemeint, ja?“
„Bitte ... Ich würde alles tun, wenn ich es nur ungeschehen machen könnte. Alles!“
Er zeigte aufs Wohnzimmer. „Lass uns wieder reingehen. Willst du was trinken?“
„Was hättest du mir denn anzubieten?“
„Kaffee ohne Milch und Zucker. Oder Bier.“
Sie lächelte zaghaft. „Bier, wenn’s recht ist.“
Klaus holte zwei Flaschen Pils aus dem Kühlschrank. Als er ins Wohnzimmer kam, saß Vivienne auf dem Sofa und putzte sich die Nase. „Ich brauche kein Glas“, sagte sie, als er Anstalten machte, zum Schrank zu gehen.
Er stellte ihr die geöffnete Flasche hin. „Umso besser.“
Vivienne trank einen großen Schluck. „Die Wette ist der Grund, warum du mich nicht magst, oder?“
Klaus sah sie verblüfft an. „Welche Wette?“
Sie wurde rot. „Äh ... Ich dachte, Hedi hätte dir davon erzählt?“
„Nein.“
„Na ja, ist auch ewig her.“
„Jetzt hast du mich neugierig gemacht.“
„Eigentlich war es nur ein harmloser Schülerstreich. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie die Sache so ernst nahm.“
Klaus lehnte sich im Sessel zurück und sah sie abwartend an. Vivienne zupfte am Etikett der Bierflasche. „Hedi kam damals als Wiederholerin in meine Klasse, und sie war völlig anders als die Mädchen, die ich bis dahin kannte. Sie trug altmodische Rüschenkleider und hatte lange geflochtene Zöpfe, und dass wir uns darüber lustig machten, störte sie überhaupt nicht. Sie war unbekümmert, ziemlich frech und ließ sich von nichts und niemandem beeindrucken. Das war ich nicht gewohnt. Das Malheur passierte, als wir uns in den gleichen Jungen verliebten.“
„Ingo“, sagte Klaus.
Vivienne nickte. „Er war ein hässlicher Kerl, aber er hatte Charme. Zum ersten Mal zeigte Hedi Verletzlichkeit, und ich heuchelte Verständnis und Freundschaft. Ich wollte Ingo für mich, aber noch viel mehr wollte ich hinter ihr Geheimnis kommen. Wir wunderten uns, dass sie nie jemanden zu sich nach Hause einlud. Sie setzte sogar alles daran zu verhindern, dass jemand auf die Idee kam, sie zu besuchen. Ich wettete mit Ingo, dass ich den Grund innerhalb einer Woche herausfinden würde. Statt in die Schule zu gehen, besuchte ich heimlich ihre Mutter. Ingo wollte nicht glauben, was ich ihm erzählte, und ging selbst hin. Einen Tag später wussten alle, dass die aufsässige Hedi in Wahrheit Hedwig Ernestine hieß, mit ihrer durchgedrehten Mutter in einer Abfallhalde hauste und dereinst einen leibhaftigen Prinzen heiraten und unermesslich reich sein würde. Wir fanden das witzig und nannten sie kleine Müllprinzessin. Wochenlang hat sie den Spott gleichmütig ertragen. Dann riss sie sich vor der ganzen Klasse die Kleider vom Leib und rannte
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