Die Wassermuehle
Sonderpreis“, sagte er stolz und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Der hat das Waldsterben schon hinter sich“, sagte Sascha.
„Hol lieber den Schmuck und die Krippenfiguren aus dem Keller“, entgegnete Hedi.
Sascha verschwand murrend. Klaus plagte sich mit dem Baum; Hedi klaubte die Nadeln vom Teppich. Sie fragte sich, wie ihr Mann es jedes Jahr schaffte, den hässlichsten Weihnachtsbaum von ganz Offenbach aufzutreiben.
Sascha schleppte eine Kiste herein und stellte sie mitten ins Zimmer. Er holte seine Jacke. „Ich mach dann mal die Fliege. Hab ein Date mit Corinna.“
„Am Heiligen Abend?“, rief Hedi. „Im Übrigen fände ich es an der Zeit, dass du uns deine Corinna endlich vorstellst.“
„Sie gefällt dir sowieso nicht.“
Hedi sah Klaus an. „Sag du doch auch mal was!“
Klaus bemühte sich, die krumme Fichte geradezubiegen. Sascha zog seine Jacke an. „Tschüss denn.“
„Tschüss“, sagte Klaus.
Kurz darauf fiel die Wohnungstür ins Schloss.
„Danke für deine wertvolle Erziehungsarbeit!“, sagte Hedi.
Klaus kramte die Lichterkette aus der Kiste. „Du hast mich auch nicht nach dem ersten Kuss gleich deiner Mutter präsentiert.“
„In Saschas Alter habe ich nicht mal ans andere Geschlecht gedacht!“
Klaus lachte. Das Telefon klingelte. „Ich geh schon“, sagte er.
Während er telefonierte, ging Hedi in den Keller hinunter, um den restlichen Weihnachtsschmuck zu holen. „Wer war es denn?“, fragte sie, als sie zurückkam.
Klaus zuckte bedauernd mit den Schultern. „Michael. Es tut mir leid, aber ich muss den Umlauf über Weihnachten machen. Zwei Kollegen haben sich krank gemeldet.“
„Das darf doch nicht wahr sein!“
„Um sieben bin ich ja zurück.“ Er sah zur Uhr. „Und Zeit zum Baumschmücken habe ich auch noch. Ach ja ... Vergiss nicht, Juliette anzurufen, dass wir nicht kommen können.“
„Wie bitte?“
„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich vor dem Nachtdienst morgen in den Odenwald fahre, oder?“
Hedi lief rot an. „Das ist doch ein abgekartetes Spiel!“
„Aber nein! Wie ...“ Sie hörten ein lautes Scheppern.
„Ich drehe dem verdammten Kater den Hals um!“ Hedi rannte in die Küche. Leonardo saß auf der Anrichte und putzte seinen Schnurrbart. Der eingelegte Lammbraten verteilte sich in einem See aus Marinade und Scherben auf dem Fliesenboden.
„Liebe Zeit!“, sagte Klaus.
Hedi wurde plötzlich ganz ruhig. Ohne ein Wort ging sie ins Schlafzimmer und schloss die Tür.
Klaus scheuchte Leonardo aus der Küche und fing an, die Scherben aufzusammeln. Zehn Minuten später kam Hedi zurück. Sie hatte sich umgezogen und dezent geschminkt. In der Hand hielt sie eine Reisetasche. „Ich werde Heiligabend dieses Jahr auswärts verbringen.“
Klaus starrte sie an. „Das ist nicht dein Ernst.“
„Doch.“
„Aber ... Wo willst du denn hin? Und was soll ich den Kindern sagen?“
„Denk dir halt was aus. Schließlich warst du es, der behauptet hat, Weihnachten könnte dieses Jahr getrost ausfallen.“
Als Hedi nach draußen kam, schneite es; an den Bordsteinkanten hatte sich grauer Matsch gesammelt, ein Streuwagen fuhr vorbei. Zum Glück stand der Opel nicht allzuweit entfernt. Sie startete den Motor und hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten.
Der Christbaum in der Eichmühle war jedes Jahr der prächtigste auf der Welt. Kristalltropfen, Eisglaskugeln und Zinnsterne ließen ihn funkeln und glänzen, in den Zweigen hingen süße Leckereien und die gläserne Spitze berührte die Zimmerdecke. In der Küche duftete es nach Bratäpfeln und Plätzchen, und Hedi drückte mit ihren warmen Fingern Fantasiefiguren auf das zugefrorene Fenster, während sie ungeduldig auf die Bescherung wartete.
„Und wenn das Christkind nun nicht kommt, Tante Juliette?“
„Warum sollte es denn nicht kommen, Kind?“
„Weil der Weg hier heraus so schrecklich einsam und finster ist.“
„Ach was! Es muss doch nur dem Mond und den Sternen nach.“
„Und Großpapa ist bis dahin ganz bestimmt wieder da?“
„Ganz bestimmt, ja.“
Irgendwann wurden die Kerzen in den alten Pendelhaltern mit einem Wachsanzünder entflammt, und kurz darauf erklang das Glöckchen.
Als Kind war der Heilige Abend in der Eichmühle für Hedi der schönste Tag des Jahres gewesen. Obwohl ihr Vater nie mitkam und ihre Mutter deshalb weinte. Aber aufs Christkind hatte sie sich trotzdem gefreut. Bis sie von Vivienne Belrots Wette erfuhr.
In der dünnen Schneeschicht
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