Die Wassermuehle
entfallen.
Auf dem Weg zur Volkshochschule dachte sie darüber nach, ob es nicht besser gewesen wäre, ledig zu bleiben.
K APITEL 8
I m Dezember wurden besonders viele Leute krank. Tage- und nächtelang lief Hedi auf ihrer Station von Zimmer zu Zimmer, gab Spritzen, wechselte Verbände, brachte Frühstück, Tee, Mittag- und Abendessen, verteilte Pillen, Tropfen und Pulver. Der Oberarzt hatte schlechte Laune, Brigitte die Grippe und Belinda keine Lust. Das Wetter war kalt und grau. An der kleinen Fichte hinter der Lächelnden Frau hatte jemand eine blinkende Lichterkette angebracht.
„Die schmeißen mich raus, wenn ich nicht bald wieder fit bin“, jammerte eine junge Chefsekretärin zwei Stunden nach ihrer Operation.
„Verdammt noch mal! Ich muss trainieren!“, schrie ein muskelbepackter Mann, der nach einem Autounfall eingeliefert worden war.
„Friedrich und ich freuen uns über jeden Tag, den der liebe Gott uns noch lässt“, sagte die alte Frau Hartmann von Zimmer fünfhundertvier.
„Den Oberschenkelhalsbruch können wir übermorgen entlassen“, sagte Dr. Bechstein nach der Visite.
„Der Oberschenkelhalsbruch heißt Erna Hartmann!“, erwiderte Hedi gereizt.
Nach Feierabend hetzte sie von Geschäft zu Geschäft, bestellte Lammbraten für Heiligabend und kaufte eine Gans für den zweiten Feiertag. Tagelang ertrug sie Ihr Kinderlein kommet und Stille Nacht inmitten von Weihnachtsrummel, Glanz und Glitter, während sie nach passenden Geschenken für ihre Kinder, für Klaus und Tante Juliette, ihre Schwiegermutter und Christoph-Sebastian suchte. Für Bernd ließ sie sich in einer Parfümerie ein modrig riechendes, nach Aussage der Verkäuferin absolut angesagtes Aftershave für den erfolgsverwöhnten Manager als Präsent verpacken.
Zuhause kämpfte sie mit den wechselnden Launen ihrer pubertierenden Tochter und gegen die zunehmende Schweigsamkeit ihres Sohns. Sie stritt sich mit Klaus, der der Meinung war, bis Heiligabend sei noch Zeit genug, einen Baum zu besorgen, und plagte sich mit ihrem schlechten Gewissen, weil sie weder dazu kam, Vivienne anzurufen noch Juliette zu besuchen. Es war wie jedes Jahr: Sie freute sich auf Weihnachten, und wenn es soweit war, begann sie, es zu hassen.
* * *
Neben der Parfümerie, in der sie das Aftershave für Bernd gekauft hatte, hatte ein neuer Friseursalon eröffnet. Der Inhaber nannte sich Coiffeur Pierre und bot die Lösung für jedes Haarproblem an. Es war schwierig, vor den Feiertagen noch einen Termin zu bekommen; offenbar war Hedi nicht die Einzige, die mit dem alten Jahr auch die alte Frisur loswerden wollte.
Coiffeur Pierre war jung und trug sein Haar zu einem Zopf gebunden. Gekonnt griff er in Hedis Schopf und betrachtete die kaputten Spitzen. „Haben Sie eine bestimmte Vorstellung oder soll ich Ihnen erst einmal ein paar Zeitschriften mit Frisurvorschlägen bringen?“
Hedi lehnte dankend ab. Der frustrierende Anblick trendy gestylter Schönheiten in der Annabella alle vierzehn Tage reichte ihr. „Ich hätte sie gern ein wenig in Form geschnitten und ...“
„Wenn ich Ihnen einen Vorschlag machen dürfte?“, unterbrach Pierre lächelnd.
„Ja. Gern“, sagte Hedi.
„Wir hellen Ihren Naturton etwas auf. Das gibt schönen Glanz. Und an den Seiten nehme ich ein bisschen was weg; das wirkt gleich viel flotter.“
Eine Stunde später fragte sich Hedi, wer die hässliche rotblonde Frau mit dem schiefen Pony und den freigelegten Ohren war, die sie aus dem Spiegel anstarrte.
„Très bien!“ , schwärmte Coiffeur Pierre. „ Die Farbe passt ganz wunderbar zu Ihrem Teint, Madame!“
„Aber nicht zu meinem Chanel-Kostüm“, sagte Hedi säuerlich.
Er wuselte mit einem Handspiegel um sie herum. „Sie sehen mindestens zehn Jahre jünger aus, Madame!“
„Was glauben Sie eigentlich, wie alt ich bin?“
Pierre legte den Spiegel weg und nahm ihr den Frisierumhang ab. „So jung wie ein junges Mädchen, Madame.“
Hedi stand auf. „Danke. Wahrscheinlich lädt mich der katholische Kindergarten demnächst zur Bastelstunde ein.“
Pierre begleitete sie zur Kasse, malte undefinierbare Kringel in ein Buch und addierte einige Zahlen. „Inklusive der Kurpackung macht das einhundertundzwölf Euro und fünfzig Cent“, sagte er lächelnd.
Hedi zählte wortlos einhundertzwölf Euro und fünfzig Cent auf den Tresen und ging.
„Auweia. Haste Haarakiri gemacht?“, fragte Dominique, als sie heimkam.
„Oder war zufällig Christoph-Sebastian zu
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