Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
hält die Bestien in Schach.«
Sie verkniff es sich, auf die Schlaglöcher, das braune Wasser und die unregelmäßige Stromversorgung hinzuweisen. »Zum Glück«, sagte sie.
»Was haben Sie heute vor?«, fragte er.
»Ich muss ein paar Dinge besorgen. Ansonsten kann ich noch nicht viel unternehmen, bis Captain Robbins grünes Licht gibt.«
»Ich weiß.« Patrick gähnte. »Ich hab zu wenig geschlafen. Ich sollte ins Fitnessstudio gehen, um mich auf Touren zu bringen. Wollen Sie mitkommen?«
»Nein, ich war heute Morgen schon joggen. Mir reichts.«
»Bobby und ich haben uns letzte Nacht darüber unterhalten, wie Sie diese Scheißkerle erledigt haben. Die sind beide ziemlich auf Zack, und wir konnten uns nicht vorstellen, wie Sie das geschafft haben. Ich dachte, Sie könnten es mir vielleicht im Fitnessstudio vorführen.«
»Ich praktiziere Bak Mei«, sagte sie. »Das ist nichts, was man im Fitnessstudio vorführt.«
»Nie davon gehört.«
»Es ist eine chinesische Kampfsportart.«
»Wie Karate oder Kung Fu?«
»Wie Kung Fu und doch auch wieder nicht. Niemand dreht Filme über Bak Mei.«
»Was ist es denn nun?«
»Etwas Uraltes, zutiefst Chinesisches – es hat mit Taoismus zu tun. Hat sich im Westen nie etabliert, weil es nicht cool aussieht und man keinen Wettkampf daraus machen kann. Es ist rein zweckmäßig und dient nur dem Ziel, den Gegner auszuschalten. Im Extremfall kann es sogar tödlich sein. Bei den beiden Männern war ich noch vorsichtig.«
»Benutzen Sie auch Tritte?«
»Nur unterhalb der Gürtellinie.«
»Reizend«, sagte er. »Wo haben Sie das gelernt?«
»Ich habe eine andere Kampfsportart trainiert und war darin so gut, dass einer der Lehrer mich gefragt hat, ob ich je von Bak Mei gehört habe. Hatte ich nicht. Wie er mir erklärt hat, ist es eine geheime Kunst – früher war es sogar verboten – und wird eins zu eins weitergegeben: vom Vater an den Sohn, vom Meister an den Schüler. Er hat mich gefragt, ob ich es lernen will. Als ich Ja sagte, schickte er mich zu Großmeister Tang. Seitdem lerne ich.«
»Zeigen Sie mir doch ein paar Tricks und Kniffe.«
»Das kann man nicht zeigen.«
»Kein Rumhopsen und Schreien?«
»Leider nein.«
Anscheinend glaubte Patrick ihr nicht und hoffte, sie würde aufstehen und sich in Kampfpose werfen. Als nichts dergleichen geschah, sagte er: »Sie sind ne Spaßbremse.«
»Stimmt.«
»Und was jetzt?«, fragte er.
»Ich glaube, ich möchte einfach zurück ins Hotel.«
»Sie sind wirklich ne Spaßbremse.«
»Hab ich doch gesagt.«
Eine Stunde später saß Ava in ihrem Korbsessel, den Roman im Schoß. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Sie las zwei Stunden, und als sie nicht länger stillsitzen konnte, ging sie nach unten, um im Internet zu surfen. Da fiel ihr Tommy Ordonez wieder ein. Eigentlich hatte sie es sich zur Regel gemacht, sich nie mit dem nächsten Fall zu beschäftigen, solange sie noch an einem anderen Fall arbeitete, denn das hatte sie zwei Mal getan, und beide Male hatte es Unglück gebracht. Sie zögerte und dachte dann: Ach, was solls . Sie war mindestens so neugierig wie abergläubisch.
Sie googelte Tommy Ordonez, dem die Hälfte der Philippinen zu gehören schien. Der Auftrag war verlockend, sowohl was das Ausmaß als auch die Beteiligten anging. Aber warum hatte sich Ordonez an Onkel gewandt? Das ergab in mehrerer Hinsicht keinen Sinn. Ava fragte sich, welchen Deal Onkel mit ihm, beziehungsweise dem Ordonez-Clan, abgeschlossen hatte. Je älter sie wurde, desto unflexibler schien sie zu werden. Wenn ihr Anteil dreißig Prozent betrug, welchen Unterschied machte es, ob es bei einem Auftrag um zehn oder hundert Millionen ging? Dem Klienten fehlte eine größere Summe, und wenn Ava und Onkel ihre letzte Hoffnung waren, spielten dreißig Prozent mehr oder weniger doch wohl kaum eine Rolle. Sie liebte Onkel und hatte enormen Respekt vor ihm, aber manchmal war er zu nachgiebig, was die Leute betraf, die im Machtgefüge über ihm standen. Irgendwann würde sie mit ihm darüber reden müssen, aber nicht heute.
Vielleicht zum zehnten Mal, seitdem sie Setos Kontonummer von Barrett’s Bank hatte, loggte sie sich auf deren Webseite ein, klickte den » ZUGRIFF AUF IHR KUNDENKONTO «-Button an und gab sie ein. Das Programm fragte nach dem Passwort. Es zu erraten, versuchte sie nie, denn sie befürchtete zu gefährliche Konsequenzen. Sie wollte sich nur vergewissern, dass das Konto weiterhin aktiv war, was zum Glück der Fall
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