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Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Titel: Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Hamilton
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sich vom Acker gemacht hatten, kämpften die Schwarzen und die Inder um die Vormacht, verlagerten ihren Hass auf die Briten jetzt aufeinander, schließlich steckten die Amerikaner ihre Nasen – und ihr Geld – in die hiesige Politik. Es war ein einziges Chaos. Die Amerikaner suchten nach einer neutralen Person, nach jemandem, dem sie zutrauten, eine zuverlässige Informationsquelle zu sein und gleichzeitig als ehrlicher Vermittler zwischen Schwarzen und Indern zu dienen. Viele Kandidaten gab es nicht. Laut dem Captain war er der einzige. So fing es an.«
    »Aber um sich so lange zu halten wie er …«
    »Das hat er allein geschafft. Dazu brauchte er die Amerikaner nicht. Sie müssen verstehen, er ist so ziemlich der Einzige in Guyana, den alle Gruppen unterstützen – weil er neutral ist, weil Hautfarbe für ihn keine Rolle spielt. Die Leute vertrauen ihm.«
    »Und fürchten ihn?«
    Er ignorierte die Frage. »Alle Politiker – ob schwarz oder braun – hören sich gern selbst reden. Der Captain redet kaum. Er sagt immer zu mir: ›Patrick, man muss einfach nur zuhören. Du wärst überrascht, wie viel du lernen kannst.‹ Die Generäle in unserer sogenannten Armee und der Generalinspekteur der Polizei, die haben alle Titel, Uniformen und Medaillen. Sie sehen ja, was der Captain trägt: Jeans und schlichte Hemden. Das ist sein Stil. Der muss sich nicht kostümieren oder jemanden beeindrucken. Er ist seit mehr als zwanzig Jahren an der Macht; er braucht keinen hochtrabenden Titel. Aber wissen Sie, wenn er einen Raum voller mit Lametta behängter Generäle betritt, sind sie diejenigen, die so lange strammstehen, bis er sich gesetzt hat. Ich bin voreingenommen, das ist mir klar. Er gehört für mich zur Familie. Aber ich bin klug genug, um einen größeren Mann anzuerkennen.«
    »Ich habe gehört, dass er die Geheimnisse aller Leute kennt, weiß, wo die Leichen begraben sind, und dass die Politiker ihm völlig ergeben sind«, sagte Ava.
    »Wie könnte es anders sein?«, erwiderte Patrick. »Die Politiker sind nur Staffage. Der Captain hat sie an der Kandare. Ich frage nicht, wie er das schafft; niemand in Guyana tut das. Wir sind einfach froh, dass er da ist und sie kontrolliert. Wenn das heißt, dass er ihnen etwas Angst macht, umso besser für uns.«
    »Das sollte keine Kritik sein, ich war nur neugierig«, sagte sie.
    Das Essen kam. Ava stocherte in ihrem Reis herum. Patrick aß sein Hähnchencurry und tunkte das Roti in die Sauce. Nachdem er aufgegessen hatte, bestellte er sich eine zweite Portion. »Eins noch«, sagte er zwischen zwei Bissen, »der Captain ist wirklich klug, womit ich nicht nur gebildet meine – obwohl er das auch ist –, sondern er hat Menschenkenntnis. Nach zehn Minuten hat er jeden durchschaut.«
    »Was hat er über mich gesagt?«, wollte sie wissen.
    »Dass Sie nicht sind, was Sie zu sein scheinen, aber wenn die Leute das herausgefunden haben, ist es für sie schon zu spät.«
    Sie hob den Blick und sah Patrick an. Er behielt den Eingang des China World im Auge. Sie stellte keine Fragen mehr.

26
    E s war dunkel, als sie ankamen, denn an diesem Abend musste diese Hälfte von Georgetown ohne Strom auskommen. Trotzdem waren die Geschäfte und Restaurants des Blocks hell erleuchtet. Ava mochte sich nicht vorstellen, wie es wäre, in einer mondlosen Nacht durch die Seitenstraßen zu gehen. Kein Wunder, dass die Kriminalität hier ständig stieg.
    Im Schaufenster des Restaurants flimmerte eine aus den Wörtern CHINA WORLD bestehende Leuchtreklame. Die chinesischen Zeichen darunter hießen übersetzt »Himmlisches Mahl«. Sie erinnerte sich nicht, je ein chinesisches Restaurant gesehen zu haben, dessen chinesischer und englischer Name dasselbe bedeuteten. Bevor sie den Gedanken ad acta legen konnte, tauchte plötzlich Seto im Schaufenster auf. Er sprach mit einem kleinen Chinesen, der eine Schürze trug.
    »Ich glaube, er geht gleich«, sagte sie.
    Patrick rief jemanden vom Handy aus an: »Aufwachen, Jungs.«
    »Sehen Sie den kleinen Typen mit Schürze?«, fragte er Ava. »Er ist einer unserer führenden Dealer und importiert den meisten Stoff. Er ist ebenfalls der Freund eines Freundes. Bis jetzt ist mir noch nicht in den Sinn gekommen, dass er etwas mit Seto und Ng zu tun haben könnte. Wenn das hier vorbei ist, werde ich ihm auf den Zahn fühlen müssen.«
    Das Trio verließ das Restaurant und stieg in den Land Rover. Ava hielt den Atem an. Sie folgten dem Wagen zwei Blocks weiter zum

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