Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
mit den Namen und Telefonnummern seiner Töchter nichts als eine Finte gewesen? »Captain, ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.«
Eiswürfel klirrten. »Ich bin heute Abend auf dem Rückweg vom Flughafen an Setos Haus vorbeigefahren und habe ein kleines Gespräch mit seiner Freundin geführt«, sagte er langsam. »Ich weiß nicht genau, warum; es schien mir das Richtige zu sein. Wie auch immer, nach ein bisschen Überzeugungsarbeit war sie ausgesprochen redselig. Anscheinend hat unser Freund Seto einen Volltreffer gelandet. Wenn man ihr glauben darf, hat er vor kurzem einen Gewinn in Höhe von fünf Millionen US -Dollar eingestrichen.«
Sie war nicht sicher, ob sie diese Version glauben konnte, aber sie würde nicht von ihrer Position abrücken. »Das war kein Gewinn. Das war Diebstahl«, widersprach sie.
»Die Höhe der Summe bestreiten Sie also nicht?«
»Captain, über die Höhe der Summe habe ich Sie nie belogen. Ich habe sie nie erwähnt.«
»Ach, wissen Sie, da haben Sie vermutlich sogar recht. Also liegt die Schuld ganz bei mir. Ich habe Seto einen solchen Erfolg einfach nicht zugetraut. Aber jetzt entdecke ich, zugegebenermaßen etwas spät, dass er offenbar weit cleverer ist, als ich dachte. So sieht es aus, Ms. Lee … Darf ich fragen, ob Sie es, im Lichte der jüngsten Ereignisse betrachtet, immer noch für fair halten, mich mit lumpigen 300 000 Dollar abzuspeisen?«
»Ja, absolut.«
»Sie enttäuschen mich schwer, Ms. Lee. Seien wir doch ehrlich: Wo wären Sie jetzt ohne unsere ausgesprochen aktive und einzigartige Mitarbeit? Ich sage es Ihnen: Sie würden immer noch im Phoenix Hotel hocken, ohne Hoffnung darauf, je an Seto oder sein Geld heranzukommen.«
»Wahrscheinlich«, gab sie zu.
»Und selbst wenn Sie ihn in die Finger bekommen hätten, wohin könnten Sie gehen? Nirgendwohin, allerdings hätten Sie wegen Entführung im Camp Street Prison landen können – oder Schlimmeres.«
Robbins sprach immer schneller, seine Stimme war eine Oktave höher geworden. Ava ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Schließlich sagte sie so sanft und ruhig wie möglich: »Ich vermute, Sie möchten mir einen Vorschlag unterbreiten.«
»Natürlich. Ich glaube, wir müssen unsere Geschäftsvereinbarung überdenken, sie weniger einseitig gestalten.«
»Sie wollen mehr Geld?«
»Das wäre nur fair.«
»Aber das Geld gehört nicht mir, sondern meinem Klienten.«
»Das ist Haarspalterei. Ich weiß nur, dass das Geld auf dem Konto Seto gehört. Darüber, wie es dorthin gekommen ist, steht Ihr Wort gegen seins. Man könnte Sie sogar dafür belangen, denn Sie haben einen guyanischen Regierungsbeamten zu bestechen versucht, um einen Einwohner Guyanas um sein sauer verdientes Vermögen zu bringen.«
Ava schluckte den Ärger herunter. Wie idiotisch von Seto, Anna einzuweihen. Wahrscheinlich hatte sie schon bei der ersten Frage von Captain Robbins alles ausgeplaudert. Was ihn anging: Er erwies sich als genau das, was sie befürchtet hatte. Sie wünschte, die Enthüllung hätte erst in ein oder zwei Tagen stattgefunden. Aber durch Wut war nichts gewonnen. Also versuchte sie, die Unterhaltung in andere Bahnen zu lenken. »Wissen Sie, Captain, all das Gerede über Geld ist bisher völlig hypothetisch. Es gibt keine Garantie dafür, dass die Bank mir die Summe aushändigt.«
Er lachte, verschluckte sich und fing an zu husten. »Ich habe absolutes Vertrauen in Ihren Plan«, gluckste er, nach Luft schnappend. »Er kam mir vollkommen vernünftig vor. Wenn ich Ihre Überredungskunst und Anziehungskraft mit einkalkuliere, ist er sogar bombensicher. Nun tun Sie mir den Gefallen und lassen uns über Geld sprechen – und sei es nur hypothetisch.«
»Woran haben Sie denn gedacht?«
»Die Hälfte«, verlangte er unverblümt.
Sie war sprachlos. Er war sogar noch gieriger und aggressiver, als sie gedacht hatte. »Captain …«
»Ich will 2,5 Millionen Dollar.«
Ava hielt sich das Telefon an den Hals, während sie hastig zwei Überlegungen anstellte. Erstens: Wie viel Verhandlungsspielraum blieb ihr? Die Antwort war kurz und niederschmetternd: Im Moment absolut keiner, und nur der Moment zählte. Sie hatten ihr den Pass weggenommen, doch was noch gravierender war, sie war an einem Ort ohne Beziehungen, Hilfe oder Unterstützung. Ein kurzer Anruf eines seiner einheimischen Kumpane bei der Bank genügte, um die ganze Sache platzen zu lassen. Die zweite Erwägung war, wie viel Geld genau übrig blieb, wenn sie Setos
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